Geistliche Impulse

Losung April 20, 2024

Ich will dich entrinnen lassen, dass du nicht durchs Schwert fällst, sondern du sollst dein Leben wie eine Beute davonbringen, weil du mir vertraut hast, spricht der HERR.

Jeremia 39,18

Gedanken für den Tag - 6. September 2023

„Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe." – so formulierte es Martin Luther einmal in einer Predigt.
Und er wollte damit zeigen: Die Liebe ist nicht nur eine Eigenschaft Gottes unter vielen anderen. Sie ist sein Wesen. Gott ist wärmende Liebe. Und sie gilt mir und dir. Du bist geliebt! Ob du es weißt oder nicht. Ob du es fühlst oder nicht. Ob du meinst, du hast sie verdient oder nicht. Ob du gerade gut drauf bist oder völlig neben der Spur. Das ermöglicht Selbstliebe und Liebe zum Anderen.
Und dann geht der Spruch noch etwas weiter: ",der da reichet von der Erde bis an den Himmel.“ 
Ich habe meinen Kinder das auch immer so gesagt, um zu unterstreichen, dass meine Liebe zu ihnen grenzen- und bedingungslos ist. Bei Martin Luther höre ich aber noch mehr daraus, nämlich die Perspektive, dass diese Liebe nicht nur die Erdenzeit umfasst, sondern darüber hinausreicht. Was gab es seinerzeit nicht alles an beängstigenden Vorstellungen von dem Leben nach dem Tod: Gott als Richter, Fegefeuer und Hölle. 
Nein, sagt Martin Luther: Mit Gott im Herzen steht dir nicht nur die Welt offen, sondern auch der Himmel.

Gedanken für den Tag - 6. März 2023

Wie ein Tunnel aus Schnee.
Wie lange wird er wohl anhalten? Ein kleiner Windstoß reicht schon, dass die leichten Flocken gen Boden fallen. Ein klein wenig Sonne und die Schneekristalle werden schmelzen.
Bei einer Andacht mit Schülern letzte Woche fragte mich ein Junge hinterher, ob mir denn Gott schon einmal begegnet sei. Ich habe gesagt Ja, aber darüber spreche ich nicht. Denn auch diese Momente sind so vergänglich. Bereits das Reden über sie würde sie zerstören.
Wo ist denn dein Gott?, fragen andere angesichts von Krieg und Klimaveränderung. Ich kann es nicht sagen. Aber es gibt immer wieder solche besonderen Moment wie diesen im Wald heute Morgen, wo ich spüre, dass da mehr ist. 
Quelle: Hillmer

Predigt am 12. Febr. 2023 - Kapelle im Helios-Klinikum Uelzen - Pastor Ulrich Hillmer - Wenn einem die Worte fehlen

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Gedanken für den Tag - 31. Januar 2023 - vom morgendlichen Segen

Als kleiner Aufheller an diesen regnerisch trüben Januartagen ist mir folgender lieblicher Text in die Hände gefallen:
Auf dem Weg zur Grundschule holte ich jeden Morgen meine beste Freundin von zuhause ab. Ich wartete auf der anderen Straßenseite, bis sie aus der Haustür kam. Ihre Mutter kam immer hinter ihr. Dann drehte sie sich um, und die Mutter legte ihr die Hand auf den Kopf. Sie sprach dabei, und meine Freundin strahlte. Ich habe sie dann mal gefragt, was ihre Mutter da macht. Da sagte sie: Sie segnet mich.
Als wir dann einmal eine Klassenarbeit schrieben und beide gleich viel wussten, aber ihre Arbeit besser war als meine, da dachte ich: Das muss an dem Segnen liegen. Und ich fragte, ob ich auch den Segen kriegen könnte. Bestimmt, sagte meine Freundin. Und von da an holte ich sie von der Tür ab, und ihre Mutter segnete uns beide. 
Dass wir beide mal gute und mal schlechte Klassenarbeiten schrieben, änderte das nicht. Aber der Trost, den mir dieser Segen jeden Morgen gab, den erinnere ich genau.

Gedanken für den Tag - 23. Januar 2023 - Liebe im Loslassen

Liebe vereint Menschen. Und doch gibt es auch Liebe im Loslassen.
Von einem unbekannten Verfasser habe ich diesen Text gefunden, der mich sehr angerührt und an viele Abschiedsmomente am Sterbebett erinnert hat.

Liebe bedeutet loslassen.
Vielleicht bedeutet Liebe auch, zu lernen, jemand gehen zu lassen,
wissen, wann es Abschied nehmen heißt.
Gekämpft hast du alleine,
gelitten haben wir gemeinsam,
aber verloren haben wir uns nicht.

Gedanken für den Tag - 19. Januar 2023 - von dem unfertigen Puzzle

Ich habe über die Weihnachtstage die alten Puzzle wieder rausgeholt. Und da quält man sich dann über viele Stunden, um am Ende zu merken, dass das Teil, nach dem man die ganze Zeit gesucht hat, nicht mehr da ist. So ein Schiet! Das Puzzle muss unfertig bleiben - und das ist kein gutes Gefühl.
Und dieses Gefühl kenne ich gut, es begleitet mich an den meisten meiner Tage. Im Kalender stehen Zeiten und Termine und am Ende des Tages muss ich mir eingestehen, dass dieser Tag ganz anders verlaufen ist. Für viele Dinge, die ich mir vorgenommen hatte, hat die Zeit gefehlt, andere Dinge habe ich nicht so gemacht, wie ich es wollte. Die Predigt z.B. ist irgendwie nicht angekommen. Schade, das Puzzle des Tages bleibt unvollkommen.
Aber so ist das Leben nun einmal: Unser Lebenspuzzle hat seine Lücken. Bestimmte Dinge, die wir uns wünschen, sind uns nicht vergönnt, manches wird uns einfach so genommen. Bestimmte Dinge gelingen uns, an anderen scheitern wird trotz allen Bemühens. 
Wie gut zu wissen, dass Gott auch das Unfertige liebt und gebrauchen will, dass Gott auch mich und dich liebt und gebrauchen will.

Gedanken für den Tag - 11. Oktober 2022

Quelle: Privat
Es war Vollmond heute Morgen. Und zum ersten Mal fiel mir bewusst auf, dass da dunklere und helle Bereiche im Mond sind. Sind das eine Täler, das andere Berge? Ist es so wie auf der Erde, dass das eine die Kontinente sind und das andere die Ozeane? Aber was ist was? Sind die dunklen Flecken die Kontinente und die hellen die Ozeane oder umgekehrt?

Du merkst schon: Ich verstehe gar nichts vom Mond. Aber ich denke nach über meine eigenen "dunklen Flecken", all die Eigenschaften, die ich mir wünschte, nicht zu haben. Ich habe ja ein bestimmtes Bild von mir und danach teile ich meine Eigenschaften in gute und schlechte Eigenschaften ein. Interessant ist nur, dass ich es auch genau anders herum sehen könnte. Wenn ich denke, dass ich gerne gemütlicher sein und meinen Ehrgeiz ablegen möchte, so ist es doch andererseits mein Ehrgeiz, der mich jeden Morgen antreibt, engagiert in die Welt hinauszugehen, anstatt im Sessel sitzen zu bleiben. Was ist da schon gut und schlecht?

Es lohnt sich, mal über seine "dunklen Flecken" nachzudenken, sie mit etwas mehr Liebe zu betrachten und sich zu fragen, ob nicht gerade sie auch häufig die Lichtpunkte in deinem Leben sind.

Gedanken für den Tag - 23. Juni 2022

Quelle: Ulrich Hillmer
Heute war wieder so ein schöner Sommermorgen. Im Grunde sind dies die schönsten Tage des Jahres. Was mir dann auch häufig durch den Kopf geht: Von jetzt ab werden die Tage kürzer, die Schönheit der Natur wird immer mehr vergehen.

Und solche Gedanken kenne ich bei mir auch sonst. Dass ich Zeiten hinterher trauere, in denen ich intensiver gelebt, intensiver geglaubt und wahrhaftiger gelebt habe. Und ich frage mich dann, warum das so ist, anstatt zu erkennen, dass es so sein muss - eben wie in der Natur. Das Leben verändert sich. Ich kann die Momente nicht festhalten, ich kann auch Glaubensgewissheit und Glaubensstärke nicht in Frischhaltefolie packen. 

Aber ich kann aufhören, mich an solchen Idealbildern festzuhalten. Jede Zeit hat ihre neuen Herausforderungen und drängt mich, ihr mit angepasstem Verhalten zu reagieren. Es ist keine Schwäche, dass ich mich permanent verändere, es ist vielmehr ein Zeichen, dass ich mitten im Leben stehe. 

Pfingsten 2022 - Predigt zu Röm. 8, 1-2

Pastor Ulrich Hillmer

Gedanken für den Tag - 30. Mai 2022

Ich schaue aus dem Fenster - kein schönes Wetter heute. Kalt und nass. Wie ärgerlich für Urlauber, die sich auf gutes Wetter gefreut haben. Aber eigentlich ist das Quatsch. Es gibt kein "gutes" Wetter. Das Wetter ist, wie es ist. Und daneben gibt es eben unsere Zuschreibung als "gut" oder "schlecht", wobei wir allgemein von gutem Wetter reden, wenn es warm und sonnig ist.

Und genauso wenig gibt es ein "gutes" oder "schlechtes" Leben. Auch da haben wir allgemeine Bilder im Kopf, was ein gutes Leben beinhalten sollte: Haus, Familie, Arbeit mit ordentlichem Verdienst, Gesundheit usw. Aber weil die wenigsten Menschen all dieses über sich so sagen können, bleibt ein Gefühl des Ungenügens zurück: Eigentlich möchte ich ein ganz anderer sein.

Für Gott bist du genau richtig, wie du bist. Und du solltest aufhören, dich an irgendwelchen Maßstäben zu messen und dich stattdessen mit genau derselben Liebe anschauen, mit der Gott dich anschaut.

Gedanken für den Tag - 24. Mai 2022

Sorge nicht um das, was kommen mag,
weine nicht um das, was vergeht;
aber sorge, dich nicht selbst zu verlieren,
und weine, wenn du dahintreibst im Strom der Zeit,
ohne den Himmel in dir zu tragen.
(Friedrich Schleiermacher - 1768-1834)

Gedanken für den Tag - 13. Mai 2022

Gedanken für den Tag - 12. Mai 2022

Quelle: Ulrich Hillmer
Solche Bäume sind im Wald keine Seltenheit. Ein Sturm hat der Fichte die Spitze abgebrochen. Und in dem Moment ist klar: Dieser Baum wird nicht sein wie andere Bäume. Er wird sich nicht wie sie grade in die Höhe strecken können. Die Zukunft ist ihm genommen. Oder doch nicht? Denn da ist ja noch ein Seitentrieb. Er macht sich umso stärker und tritt an die Stelle des abgebrochenen Hauptstammes.
Vielen Menschen geht es wie diesem Baum. Sie bekommen eine Diagnose, sie müssen sich behandeln lassen und es ist ihnen gesagt, dass ihr Leben hinterher nicht mehr dasselbe sein wird. Und manchmal nimmt die Krankheit ihnen ausgerechnet das, was sie am liebsten tun. Es bricht eine Welt zusammen. Aber gerade dann kommt es darauf an zu entdecken, welche anderen Begabungen ich besitze, und sie stark zu machen.
Ein Mitsänger von mir hatte Krebs und musste an den Stimmbändern operiert werden. Nach der Operation konnte er nicht mehr singen. Das hat ihn sehr belastet. Doch irgendwann hat er seine Trompete aus Kindertagen rausgeholt und sich gesagt: "Hat Gott mir nicht noch viele andere Begabungen geschenkt?"

1. Dezember 2021 - Wer weiß schon, wofür es gut ist

Quelle: Ulrich Hillmer
Ich habe mir schon einiges über den Tannenbaum vor unserer Kirche anhören müssen. Unbestreitbar fehlen ihm ein wenig die Zweige, "magersüchtig", sagte jemand. "Dafür ist er so grade gewachsen, wie kein Tannenbaum sonst", habe ich immer geantwortet. Wenn ihn sonst keiner in Schutz nimmt, muss ich es wenigstens tun.
Bei den starken Winden dieser Tage gewinnt man noch einmal einen ganz anderen Blick auf den Baum. Denn der Wind hat bei diesem Baum keine große Angriffsfläche. Und steht er doch einmal schief, kriege ich es alleine hin, ihn wieder grade zu richten. So hat eben alles auch seine guten Seiten, und manchmal kehrt sich das vermeintlich Negative zum Segen.
Ich wünschte mir, ich könnte in gleicher Weise auf mein Leben schauen. Nicht immer nur hadern mit den Unzulänglichkeiten, sondern erkennen, dass jede Eigenschaft gute und schlechte Seiten hat - und dass genau genommen eine Bewertung per se unzulässig ist. Denn wer weiß schon, wofür meine jeweilige Eigenschaft nützlich ist.

26. Juli 2021 - Alles ist mir erlaubt

"Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt. Alles ist mir erlaubt, aber nichts sollte Macht über mich haben." (1. Kor. 6, 12)
Dieser Spruch aus dem gestrigen Predigttext hat es mir angetan. Denn es gibt so viele Sachen, denen ich erlaube, dass sie "Macht" über mich haben. Ich schiebe es dann auf die Erziehung oder die Gewohnheit. Aber wenn ich ehrlich bin, ist das keine schlüssige Erklärung, es ist halt der bequemere Weg. Wer, wenn nicht ich, ist schließlich Herr meiner Entscheidungen? Warum mache ich mich an der Stelle so klein?
Es ist eine wichtige Grundentscheidung, die jeder Mensch zu treffen hat: Mache ich mich schwach und sage ich: "Da kann ich halt nichts machen"? Oder mache ich mich stark und traue mir etwas zu? 
Und diese Entscheidung trifft keine Erziehung oder Gewohnheit, die triffst alleine du.

9. Juli 2021 - Es ist schon alles in dir

Am Buchenberg steht der Raps beinahe schon erntereif. Und ich erinnere mich noch ans Frühjahr, als da kleine unauffällige Pflanzen standen und meine Frau mich fragte: "Was ist denn das?" "Keine Ahnung", hab ich geantwortet, "vielleicht irgendeine Gründüngung, die sie später unterpflügen".

So kann man sich täuschen, und so täuschen wir uns auch in uns selbst. Denn wer denkt schon groß von sich? Wir laufen umher als unauffällige Pflanzen, die in sich Verunsicherung und Selbstzweifel tragen. Und doch sind wir so viel mehr: ein wunderbares Geschöpf mit vielen Begabungen, die es zu ernten gilt.

Das Problem, das ich sehe: Wir mühen uns unentwegt um dieses Potential in uns und wollen es erzwingen. Wir möchten der sein, der alles kann und allen Erwartungen entspricht. Und das funktioniert nicht. Manchmal kommen wir erst im Scheitern an den Punkt zu erkennen, dass alles schon da ist und einfach nur fließen muss. Ich bin schon wunderbar und perfekt, und wenn ich das erkenne und mich so annehme, dann wächst es nach außen - von ganz alleine.

14. Juni 2021 - Was leitet mich?

Was leitet mich? Diese Frage muss ich mir nicht nur stellen, wenn ich morgens mit dem Hund durch den Stadtwald gehe und an verschiedenen Weggabelungen mal links und mal geradeaus gehe. Es gibt auch im Leben solche entscheidenden Weggabelungen. Bei mir erzählt meine durchsichtige Schreibunterlage davon. Dort habe ich all die Sprüche und Texte abgelegt, die für mich zu verschiedenen Zeiten prägend waren. Blicke ich auf sie, dann fallen mir die Situationen wieder ein, als wäre es erst gestern gewesen. 
Aber es wäre falsch zu behaupten, dass diese Bibelsprüche mich geleitet hätten. Sie sind nur das Medium einer Erkenntnis, die ich selbst hab erringen müssen: durch Infragestellung, durch Hadern, durch schlaflose Nächte - und irgendwann zeichnet sich ein Weg ab und ich wusste: diesen Weg musst du gehen.
Wenn wir einander begleiten auf unseren Lebenswegen, dann denken wir immer, wir müssten die anderen teilhaben lassen, an unseren Lebensentscheidungen und Weisheiten. Und das ist gut gemeint. Aber die Veränderung liegt nicht in diesen Worten, sondern immer nur in dem, der sie am Ende für sich vollziehen muss.

25. Mai 2021 - Eine Begegnung am Sterbebett

"Warum macht Gott so etwas?"
Ich möchte ihr gerne eine Antwort geben. Sie hat nicht mehr lange zu leben, das Gespräch fordert ihr bereits alle Kraft ab. Erst sei sie nur wütend gewesen, sagt sie. Warum ausgerechnet sie? Dann war sie nur noch traurig.
Ich gebe ihr keine Antwort. Wir wissen beide, dass es keine Antwort auf die Frage gibt. Aber mir kommt ein Liedvers in den Sinn: "Bleib bei mir, Herr! Der Abend bricht herein. Es kommt die Nacht, die Finsternis fällt ein. Wo fänd ich Trost, wärst du, mein Gott nicht hier? Hilf dem, der hilflos ist: Herr, bleib bei mir!" (EG 488)
Es ist dies der Wunsch, der uns eigentlich bewegt. Ich rede nicht viel, aber ich merke dennoch, wie ich in dem Moment Botschafter bin an Gottes Statt. Ich bin da, Gott ist da - und du bist nicht allein.

20. Mai 2021 - Steh auf und geh

Ich kenne das Lied aus meiner Jugendzeit. Petrus und Johannes treffen in den Tagen nach Pfingsten auf einen Lahmen, der am Straßenrand bettelt. Und dann eben diese Worte des Petrus: "Silber und Gold hab ich nicht, doch was ich hab, gebe ich dir: Im Namen Jesu steh auf und geh!" Wie viel wertvoller als Gold und Silber ist es, an sich und seine Möglichkeiten glauben zu können, aufzustehen und loszugehen! Jesus und seine Botschaft haben Menschen darin stark gemacht. Und heute frage ich mich: Wo sind bei mir die Punkte, an denen meine Mutlosigkeit und Depression mich hindern, aufzustehen und Dinge anzugehen? Viel sind der Entschuldigungen: "Das kannst du nicht!" Oder: "Was, wenn es schief geht?" Und dann bleibe ich sitzen, bettelnd nach Scheinbefriedigungen, die doch nicht wirklich helfen. "Steh auf und geht", sagt Petrus. Das gilt auch mir und dir.

17. Mai 2021 - Und mit einem Mal ist es Vergangenheit

Da dachte man, die kalten Tage bleiben ewig, und nun sind die Bäume binnen weniger Tage komplett grün.
Mich erinnert das an die durchwachten Nächte, als die Kinder ganz klein waren, und ich irgendwann den Glauben daran aufgegeben hatte, dass sie jemals durchschlafen würden. Doch in dem Moment, wenn es so weit ist, hat man schlagartig all die Mühe der vergangenen Monate vergessen.

Wird es mit Corona wohl auch so sein? Werden wir irgendwann uns kaum noch daran erinnern können, wie eingeschränkt und zurückgezogen unser Leben in diesen Monaten doch gewesen ist? 
Ich hoffe das eigentlich, dass die Kraft zum Leben stärker ist als all die negativen Erfahrungen, die uns im Moment noch begleiten. 
Und sicherlich liegt es ganz wesentlich an mir selbst, wie schnell ich die zurückliegende Zeit hinter mir lasse. Je weniger ich an Vergangenem festhalte, umso mehr Energie habe ich für den Tag, der vor mir liegt.

6. Mai 2021 - Das Gefühl einer immerwährenden Dunkelheit

Es ist ein wenig widersinnig: Als wir im vergangenen Jahr die Konfirmation um ein Jahr verschoben haben, da waren wir sicher, dass dann die Pandemie überstanden sei - obwohl alle Experten das Gegenteil behaupteten. Und nun sind wir tatsächlich kurz davor, dass bald jedem ein Impfangebot gemacht werden kann und die Normalität naht - doch ich erlebe stille und gebrochene Menschen. Was sich im vergangenen Jahr noch wie ein Gewitterschauer angefühlt hat, der vorüberzieht, fühlt sich heute an wie eine immerwährende Dunkelheit, obwohl das Licht am Ende des Tunnels längst in Sichtweite ist.

Und diese Diskrepanz erleben wir doch an so vielen Stellen: Ein Mensch, der in einer reichen Familie groß wird und dem es an nichts fehlt, ist gleichzeitig innerlich leer und seelisch ein Wrack. Während ein Anderer wenig besitzt und kann, aber stets mit einem Lächeln durch die Welt läuft.

Ich beschreibe nur, ich kann nicht erklären. Ich denke mir nur: Wo immer wir die seelische Not in uns spüren, da lohnt es sich, sie in den Blick zu nehmen, über sie nachzudenken und mit anderen darüber zu sprechen. Denn keine Impfung und kein Geld und Glück der Welt kann mithalten mit diesem Lächeln und einer inneren Zufriedenheit und Ausgeglichenheit.

19. April 2021 - Bleibe nicht unter deinen Möglichkeiten

Ich frage mich häufig, nach welchen Gesichtspunkten so ein Förster die Bäume auswählt, die er umlegen lässt. Heute Morgen lag da ein Baum im Stadtwald, dem man sein Problem sofort ansehen konnte: Auf halber Höhe hatte er zwei gleichstarke Stämme, die weiter nach oben führten. Aus diesem Baum kann nie mehr ein grader langer Stamm werden.
Mit dem eigenen Leben ist das auch so. Wenn ich nicht weiß, wer ich bin, sondern aufgespalten bleibe in eine Persönlichkeit, die ich nicht sein will, und eine, die ich sein will, dann bleibe ich als Mensch unklar und immer unter meinen Möglichkeiten. 
Aber wer bin ich? Diese Frage beantwortet sich relativ schnell. Ich muss nur meine Beurteilungsmaßstäbe austauschen gegen einen liebevollen Blick. Dann darf alles sein. Und es bleibt zurück ein wunderbarer Mensch mit unendlichen Möglichkeiten.

25. März 2021 - Vom guten Gefühl, zu Fehlern zu stehen

Das gibt es selten, dass eine Kanzlerin so offen ihre Fehler eingesteht und sich dafür entschuldigt. Und sie hat Respekt dafür bekommen von (fast) allen Seiten. Ich habe mich gefragt, ob dahinter auch eine Sehnsucht steckt, nach einem anderen, ehrlicheren Umgang miteinander.

Etwas Ähnliches war mir gestern passiert. Ich hatte mich in einem Telefonat zu Äußerungen hinreißen lassen, die nicht in Ordnung waren. Dinge flapsig dahergesagt. Nach dem Auflegen habe ich für mich versucht, es klein zu reden und zu vergessen. Aber nach ein paar Minuten habe ich doch noch einmal bei der Person angerufen: "Das, was ich gesagt hab, war vollkommen unangebracht und es tut mir leid." Es ist mir wichtig, dass der Andere gesagt hat, das sei doch halb so schlimm gewesen. Wichtiger ist es aber noch, dass es sich für mich gut und stimmig angefühlt hat. Denn genau das bin ich doch nun einmal: Ein Mensch, der mitunter Gutes tut, aber auch manche Verletzung verursacht. Warum nicht einfach dazu stehen? 
Versuch es selber einmal. Du wirst merken, dass es sich gut anfühlt.

16. März 2021 - Sollst du oder sollst du nicht?

"Sollst du nun oder sollst du nicht?" Ich sitze an meinem Schreibtisch und muss die Gottesdienste für die Karwoche und Ostern planen. Aber mit den steigenden Zahlen wächst auch die Angst, dass ich mal wieder "umsonst" arbeite und am Ende alles nicht stattfinden darf.

Ist es nicht mit vielen Dingen im Leben so? Wie viel Energie investieren wir, uns eine Zukunft zu erträumen: ein Haus, eine große Familie, viele Freunde, Erfolg im Beruf oder was auch immer? Und dann kommt es anders. Manchmal sind es unsere eigenen Grenzen, die uns ausbremsen, manchmal sind es einfach die Zeiten, die nicht danach sind.

Wichtig ist, dieses nicht als persönliches Versagen zu verstehen und sich auch mit seinen Fehltritten und vermeintlichen Macken noch zu lieben. Das ist manchmal eine große Aufgabe. Aber nur, wenn ich das Zutrauen in mich behalte und mich selber lieben kann, finde ich die Kraft und Freude, mein Leben fortzusetzen - unabhängig, ob mir die Sachen gelingen oder ich mal wieder umsonst gearbeitet habe.

10. März 2021 - Das Lebensregal durchforsten

Viele haben die Coronazeit genutzt, im Abstellraum einmal die Regale durchzuforsten. 
Mein Leben kommt mir auch manchmal so vor wie ein Regal, in das man all die Jahre über Dinge reingestapelt hat und wo es eigentlich mal an der Zeit wäre, es durchzuforsten. 
Da sind alte Kränkungen, manchmal noch aus der Kindheit stammend, da sind Trauermomente, die in sensiblen Momenten Weinkrämpfe hervorrufen, da sind schamhafte Momente, die mir noch viele Jahre später die Röte ins Gesicht treiben, wenn ich an sie denke. Und all diese Dinge liegen dort in meinem Innern und rauben mir Lebensraum und Lebensenergie. 
Darum: Ruhig mal einen Schritt näher rangehen an dieses Regal und die Dinge ans Licht bringen - eins nach dem anderen. Versuchen zu verstehen und es nicht zu bewerten als Verfehlung oder Schuld, sondern in allem, was du bist, den liebenswerten Menschen sehen. 
Und dann liegt es in deiner Hand, ob du das, was du dir da angeschaut hast, weiter in deinem Regal liegen lässt oder es nimmst und fortwirfst. Aber das kannst nur du alleine entscheiden und tun.

4. März 2021 - Ein gesundes Gottesvertrauen

Ein Problem unserer Tage ist, dass den heutigen Menschen vielfach etwas fehlt, was früher ganz selbstverständlich im Gepäck war: Ein gesundes Gottesvertrauen! 
So stand es heute in einem Artikel in der Tageszeitung. Ein solches Grundvertrauen sei die Basis, um sich von all den Ängsten und Unsicherheiten nicht fortreißen zu lassen - was derzeit leider viel passiere.

Mir fiel dazu der aktuelle Wochenspruch ein: 
„Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“                                                                       2. Korinther 4, 8-9

Nimm ihn mit in deinem Tag und lass dich nicht fortspülen - was auch kommt!

3. März 2021 - Sehnsucht nach dem Abendmahl

Ich schlaf nun schon seit Wochen schlecht und hörte dazu vor Kurzem eine Erklärung einer Schlafforscherin im Radio: Im Traum verarbeiten wir die Geschehnisse des Tages. Wenn so ein Tag angefüllt ist von Unsicherheiten, Ängsten, Konflikten wie im Moment, dann führt dies notwendigerweise zu schweren Träumen und schlechtem Schlaf. Was uns fehlt, so sagte sie, seien Momente der mitmenschlichen Nähe und der Zärtlichkeit, die wiederum gute Träume machen.

Woran ich denken musste: Wie sehr mir die Zärtlichkeit meines Gottes im Abendmahl fehlt. Dieses Zeichen, in dem sich Jesus mir schenkt mit Leib und Blut. Wie lange haben wir das Abendmahl nun nicht mehr gefeiert und auf diese sinnliche Erfahrung verzichtet? Ich dachte, es sei mir nicht so wichtig, und merke jetzt doch, dass es anders ist.

25. Februar 2021 - Verliere den Himmel nicht aus den Augen

Wer sind wir als Christen? Was macht Kirche aus? Was soll unser Lebensziel sein?
Im täglichen Einerlei verlieren wir diese Grundsatzfragen schnell aus dem Sinn.
 
Der Erzvater Jakob träumte eine Leiter von der Erde bis in den Himmel (1. Mose 28,10ff). Haben wir den Himmel noch im Blick oder reicht unsere Lebensleiter gerade mal bis zur nächsten Karrierestufe?

Du bist mehr. Und du sollst mehr sein. Schau dir den Film an und beginne zu träumen - wie einst Jakob.

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20. Februar 2021 - Wer wird mich verraten?

Was für ein "Schlamassel"? Welch klangvolles Wort ist das. Viel schöner als das vergleichbare Wort "Durcheinander". Es ist ein Wort aus dem Jiddischen, der Sprache von einstmals 11 Millionen Juden im europäischen Bereich, gewachsen aus dem Hebräischen, Deutschen, Polnischen .... Wann immer es für die Juden in einem Land zu gefährlich wurde, haben sie ihre Sachen gepackt und sind weiter gezogen. Mitgenommen haben sie jedes Mal einen Teil der örtlichen Sprache - so ist dieses "Mischmasch" des Jiddischen entstanden. Und zum Glück haben sie uns mit diesen vielen schönen Worten auch etwas da gelassen nach all den Vertreibungen, die in dem millionenfachen Mord gipfelten, den Nazideutschland an den europäischen Juden verübt hat.
Marc Chagall hat in seinen Bildern Gesichter und Lebenswelten dieser europäischen Juden festgehalten. Und ihrem Leid hat er Ausdruck verschafft in dem Bild des gekreuzigten Jesus - heimgeholt in die Welt der Juden, der er entstammt, dargestellt mit dem Tuch eines Juden. 
Darf er das? Gehört Jesus nicht uns Christen?
Was für eine unsinnige Frage. Jesus gehört keinem Volk, keiner Glaubensgruppe per se. Er ist bei dem, der wie er den Weg des Kreuzes geht. Als Marc Chagall 1937 dieses Bild gemalt hatte, da hatten viele Christen, die sich an den Gedanken der Herrenrasse angeschlossen haben, diesen Jesus verloren. Sie hatten ihn verraten. Und er ist mitgegangen in die Konzentrationslager.
Quelle: unbekannt
Marc Chagall "Die weiße Kreuzigung"

18. Februar 2021 - Martin Luthers 475. Todestag

Heute ist der 475. Todestag von Martin Luther. Am 18. Februar 1546 ist er in seinem Geburtsort Eisleben im Alter von 62 Jahren gestorben. Persönlich habe ich in einer Kirche in Halle einmal eine Totenmaske gesehen, die von seinem Gesicht nach seinem Sterben gemacht wurde.

Beeindruckender finde ich aber noch eine Notiz, die er am Tag zuvor geschrieben hatte und die man auf seinem Schreibtisch fand: "Wir sind Bettler: hoc est verum (das ist wahr)." So als wäre all das, was er in seinem Leben geleistet hatte, nichts. Aber was könnte angesichts des Todes schon Wahrer sein: Wir sind tatsächlich nicht viel, die Jahre rauschen nur so vorbei - es ist Gottes Blick, der uns erhebt und zu etwas Besonderem macht.

17. Februar 2021 - Die Fußabdrücke Gottes

Heute Morgen konnte man jeden Fußabdruck im Schnee erkennen. Neben den Pfotenabdrücken meines Hundes waren andere, die dreimal so groß waren. Ich habe den Wolf in Gedanken direkt vor mir gesehen, wie er dem Reh hinterherjagt, dessen Spuren ebenfalls den Weg kreuzen.

Ist es mit Gott nicht genauso, dachte ich mir, dass er permanent seine Spuren hinterlässt? Und auch da vermag ich sie längst nicht immer zu erkennen. Es muss schon einiges passen: Eine gewisse Sensibilität, eine Aufmerksamkeit für das Besonderes. Im hektischen Alltag ist dafür häufig kein Platz. Aber anders als in diesen kleinen Fußabdrücken zeigt sich Gott uns nun einmal nicht.

Ich denke an die Geschichte von dem Propheten Elia, der Gott sehen will. Und Gott sagt ihm: Stell dich in die Felsspalte, ich will in deinem Rücken vorübergehen. Und dann ist da ein Sturm - aber Gott ist nicht im Sturm. Und ein großes Erdbeben - aber Gott ist nicht im Erdbeben. Schließlich ist da ein sanftes Säuseln des Windes. Und Elia wusste, dass ihm Gott begegnet ist. (1. Könige 19, 11-13)

16. Februar 2021 - Vom Gefühl, am Sarg eines an Corona Verstorbenen zu stehen

Vor knapp einem Jahr hat mir jemand, der die vielen Corona-Toten in Norditalien miterlebt hatte, prognostiziert, dass ich mich auch bald vor Beerdigungen nicht mehr retten könnte. Zum Glück kam es anders. Allerdings habe ich in den letzten Wochen schon ein paar mit Corona Infizierte beerdigen müssen. Es handelte sich stets um Urnenbeisetzungen. Heute nun stand ich zum ersten Mal an einem Sarg, der die entsprechende Corona-Kennzeichnung trug. Und ich muss gestehen, dass ich mich etwas unwohl fühlte und froh war über jeden Meter, den der Sarg weg stand von mir. 

Ich schäme mich nicht für diese Gedanken, denn genau diese Vorsicht braucht es, um mit der Pandemie umzugehen. Ich möchte nicht zu denjenigen gehören, die durch unachtsames Verhalten das Virus weitertragen. Aber ich würde darum doch keinem Menschen die Trauerfeier absprechen wollen und mich nicht an den Sarg stellen, um den Segen Gottes darüber zu sprechen. Denn das hat etwas mit Würde zu tun, die keinem Menschen genommen werden darf. 

27. Januar 2021 - Durch den anderen bin ich der, der ich bin

Es redet jeder davon, dass uns Menschen die fehlenden Kontakte nicht gut tun. Aber warum eigentlich sind sie so wichtig? Rein theoretisch wäre ja auch ein Leben ganz ohne Kontakte denkbar. Dann müsste man sich halt jeden Tag einreden, was das doch für ein schöner Tag ist und was man doch für ein toller Kerl ist....
Aber so sind wir halt nicht gestrickt. Wir leben davon, dass wir in dem Kontakt mit anderen unseren Lebensgewinn, Lebenslust und Wertschätzung schöpfen. Jeder kennt das, wie sehr verletzende Kritik einen runterzieht und umgekehrt ein freundliches "Guten Morgen" manchmal schon den ganzen Tag rettet. 
Die Vorstellung, dass dieser Lockdown noch ein halbes Jahr gehen könnte, macht mir Angst. Denn ich merke schon jetzt, wie mich die fehlende Bestätigung durch den mangelnden Kontakt mit meinen Mitmenschen mürbe macht. Durch den anderen bin ich der, der ich bin; wenn ich nur bei mir bleibe, gehe ich mir langsam verloren.
Und wie geht es dir?

25. Januar 2021 - Wenn Lebensskripte in nicht guter Weise zusammenpassen

Da hab ich mich doch gewundert: Mein Hund, der ansonsten stoisch an Fußgängern vorbeigeht, hat heute Morgen ein kleines Mädchen angebellt. Mir ist allerdings klar, wie es dazu kam. Das Kind hat meinen Hund mehrere Sekunden mit einem ängstlichen Blick angeschaut. Und das löst dann halt diese Reaktion aus. Mit Aggression hat das wenig zu tun, mehr mit Verunsicherung.
Und wir kennen das doch alle: dass sich in bestimmten Beziehungen etwas abspielt, wo wir uns hinterher fragen "Warum hast du da nur so reagiert? Das bist du doch gar nicht." Mit gut oder schlecht hat das nichts zu tun, sondern einzig damit, dass bestimmte "Skripte", Handlungsabläufe zwischen zwei Personen nicht in konstruktiver Weise zueinander passen. Gerade in Familien haben wir das häufig, wo man dann im Beisammen mit den Eltern in eine Kindsrolle zurückfällt, in der man eigentlich nicht sein möchte.
Was man dann tun muss, ist das "Skript" zu durchbrechen - und bewusst nicht so zu handeln, wie man eigentlich handeln will. Denn damit beherrsche ich die Situation und nicht die Situation mich.
Und was den Hund angeht: Wenn ich beim nächsten Mal eine solche Situation rechtzeitig bemerkt, werde ich ihn ablenken. Dann schaut er zu mir anstatt zu dem Kind - und die Situation ist eine andere, eine beherrschte.

18. Januar 2021 - Und täglich grüßt das Murmeltier

"Und täglich grüßt das Murmeltier" - du kennst diesen Film vielleicht, wo ein Wetterreporter in einem langweiligen Ort immer denselben Tag durchleben muss. Hier kannst du ansonsten nochmal reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=OyBSrBqogPY
Die Eintönigkeit dieser immer gleichen Tage kann man im Moment ganz gut nachempfinden: Auch wir haben Winter und auch uns werden diese Tage, in denen so vieles ruht, allmählich sehr lang.
In dem Film durchlebt der Wetterreporter alle nur denkbaren negativen Gefühle: Ärger, Wut, Verzweiflung, Selbstmitleid. Doch dann dreht sich allmählich das Blatt. Er fragt sich andersherum, welche Möglichkeiten sich ihm bieten an den immer gleichen Tagen: Er lernt Figurenschnitzen in Eis oder Klavierspielen - all solche Dinge, für die wir ansonsten keine Zeit haben. Und er findet für sich die Punkte, wo er gebraucht wird und anderen Menschen helfen kann. Mit einem Mal haben seine Tage einen Rhythmus und einen Sinn. Und mehr noch: Er entdeckt für sich das selbstlose Gefühl der Liebe: zu sich selbst und zu anderen. Im Film bedeutet diese Liebe am Ende die Befreiung aus dem Gefängnis des immer gleichen Tages. 
Man kann diesen Film jetzt sehr moralisch verstehen: "So muss man es halt machen! Entdecke deine Möglichkeiten und kümmere dich um andere." Aber das Schöne ist, dass der Film es so nicht meint. Es ist vielmehr alles schon vorhanden und entfaltet sich von ganz alleine. Alles, was du tun musst, ist dem Leben zu vertrauen.

11. Januar 2021 - Leben wie Robinson Crusoe auf der einsamen Insel

Kennst du Robinson Crusoe? Wer kennt ihn nicht, den auf einer einsamen Insel gestrandeten Seemann? Ich habe das Buch in meiner Kindheit verschlungen und musste nun wieder an ihn denken. Denn wir leben in unseren Häusern ja auch wie auf einsamen Inseln, an unserer Seite bestenfalls noch ein "Freitag" (das war der Eingeborene, der bei ihm gelebt hat). 28 Jahre hat er es so ausgehalten.

Ich habe mich gefragt, was ihm geholfen hat, mit der Einsamkeit fertig zu werden. Wovon das Buch berichtet, sind Rituale, die feste Strukturen und Zeiten schaffen. So hat er bewusst die Tage gezählt durch Striche, die er in einen Baum geritzt hat. Oder er hat Tagebuch geschrieben, um für sich einen Überblick zu behalten, was er alles getan hat oder noch tun muss. Damit hat er jeden einzelnen Tag in der Einsamkeit greifbar gemacht und ihm quasi einen Namen und ein Gesicht gegeben. Kein Tag war gleich und ist in dem großen Meer von 28 scheinbar bedeutungslosen Jahren untergegangen.

Was ist dein Ritual in diesen Zeiten, das dir gut tut? Der tägliche Gang vor die Tür oder das Telefonat mit einem Freund? Ich hab mir angewöhnt, jeden Abend meine Trompete auszupacken und in der Kirche zu üben - erstmals wieder seit über 20 Jahren. 
Daran werde ich mich erinnern, wenn man irgendwann auf Corona zurückschaut.

5. Januar 2021 - Was wäre gewesen wenn.....?

Zum Jahreswechsel geht einem immer einiges durch den Kopf. Heute Morgen hatte ich so einen schrägen Gedanken, was eigentlich gewesen wäre, wenn ich z.B. Bäcker geworden wäre, wie ich es mir früher immer gewünscht hatte beim Anblick der Backwaren in den Läden. Oder einen der anderen Berufe, die sich mir zu verschiedenen Zeiten nahegelegt haben. Und es schwingt manche Sehnsucht mit in diesen Gedanken; denn jeder dieser Berufe hätte bestimmte Begabungen von mir gefördert.

Aber wie wäre es dann mit mir und meinem Leben verlaufen? Wo wäre ich wohl gelandet? Welchen Partner hätte ich kennengelernt? Wie hätte ich meine Kinder erzogen? Mit welchem Menschen hätte ich mich umgeben? Was hätte ich geliebt, welche Hobbys gepflegt?

Und ich merke: Alles hängt miteinander zusammen, und das Leben ist ein großes Gesamtkunstwerk. Es war schon richtig, dass alles gekommen ist, wie es gekommen ist - und es sollte alles so sein.

Oder was meinst du?

16. Dezember 2020 - Was Shutdown und Weihnachten gemeinsam haben

Was haben Shutdown und Weihnachten gemeinsam?
Nun, in beiden Fällen geht es darum, herunterzufahren. Wobei man das beim Shutdown einfach so anordnet und dann umsetzt. Gestern war da noch volles Leben in der Fußgängerzone und heute ist alles wie ausgestorben. 
Das Herunterfahren von der inneren Unruhe und Hektik geht nicht so leicht. Und auch gibt es dafür keine Verordnungen oder Rezepte. Wahrscheinlich ist es sogar so, dass je mehr ich versuche, zur Ruhe zu kommen, es mir umso weniger gelingt. Du kennst das vielleicht auch aus diesen Tagen vor Weihnachten. 
Und doch gibt es diesen Punkt, dass man irgendwann zur Ruhe kommt und beginnt, wieder neu Kraft zu tanken für die kommenden Aufgaben. Unmerklich bei dem Puzzle, das einen fesselt, oder beim Lesen des Romans, den man nicht mehr aus der Hand legt. 
Das ist jedenfalls meine Erfahrung: Du findest nicht die Ruhe, sondern die Ruhe wird dich finden. 

11. Dezember 2020 - Gotteserfahrungen

Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich habe mit den Konfirmanden über Gott gesprochen und dass Bibel und Kirche nichts anderes sind als Sammlungspunkte für all die Erfahrungen, die Menschen zu unterschiedlichsten Zeiten mit Gott gemacht haben. Das war so allgemein gesprochen, eine konkrete Gotteserfahrung zu nennen, ist schwierig. Der eine weiß nicht, was überhaupt damit gemeint ist, für den anderen ist es zu persönlich, darüber zu sprechen. Ich konnte auch nicht ahnen, dass ich selber einen Moment später eine solche Gotteserfahrung machen würde.

Ich habe gesagt: Lasst uns mal versuchen, alle Gedanken und Vorstellungen von Gott in einem Bild zusammenzufassen. Und dann ging es los: Er muss schweben; er hat segnende Hände, er braucht starke Muskeln an den Armen..... Und dann hörte ich auf und spürte: Das geht nicht, was du hier machst. Es war nicht das Bilderverbot aus der Bibel, das mich abhielt. Den Unterschied hatte ich erklärt: Man darf nicht meinen, ein Bild sei Gott und es mit ihm gleichsetzen. Auch die Erinnerung einer Konfirmandin an die Aufregung der Muslime um die Mohammed-Karikaturen in Frankreich hat mich nicht gerührt - wir sind Christen und leben da in einer ganz anderen, freieren Glaubenstradition. Aber tief in mir drin spürte ich eine Stimme, die sagte: Du kannst über Gott nicht sprechen wie über jedes andere Unterrichtsthema. Auch über meinen Vater oder meine Mutter würde ich ja so nicht sprechen. Es war gar nicht so sehr, dass ich Gottes Würde meinte mit meinen bescheidenen Zeichenkünsten zu verletzen, mehr unsere tiefe Freundschaft. 
Und ich habe still den Wischlappen genommen und das Bild fortgewischt.

10. Dezember 2020 - Dem Bauchgefühl folgen

Was für eine Suppe ist das heute wieder. Man sieht die Hand vor den Augen nicht. Und doch schaut mich der Hund sehnsüchtig an. Ich soll den Ball werfen. "Den siehst du sowieso nicht", sage ich ihm - und werfe dann doch. Der Hund rennt los, und ich erkenne, wie er innerlich sein Navigationsgerät umgeschaltet hat: weg vom Sehen, hin zum Riechen. Und siehe da, er bringt den Ball. Im Grunde ging es viel besser und schneller, als wenn er sich auf seine Augen verlassen hätte.

Es gibt Tage, da laufe ich auch nur wie durch einen Nebel. Manchmal könnte man angesichts schwieriger Aufgaben und Entscheidungen schier verzweifeln. Aber auch uns Menschen stehen weit mehr Sensoren zur Verfügung als nur unsere Sinne oder unser Verstand. Ich meine unser Bauchgefühl, mit dem wir ganz spontan und automatisch Situationen beurteilen. Und in schwierigen Situationen einfach mal inne zu halten und darauf zu lauschen, ist noch nie verkehrt gewesen. 

9. Dezember 2020 - Welch eine gnadenreiche Zeit

Jeden Morgen zur selben Zeit geht er in den Zeitungsladen und holt sich seine Zeitung. Und wahrscheinlich liest er dann bis zu einer bestimmten Uhrzeit darin, ehe er sich einen Kaffee macht... und dann liest er weiter. Er hat schließlich Zeit, ist Rentner.
Warum ich das so genau wahrnehme und weiß? Weil ich mich in diesen Wochen auch so erlebe und zur selben Zeit wie er immer am Zeitungsladen vorbeikomme. Wegen Corona habe ich viel weniger Termine und Treffen, und darum hat mein Tag zumeist eine immer gleiche Struktur: ich gehe mit dem Hund, und dann freue ich mich schon auf meinen Kaffee, mit dem ich mich an den Schreibtisch setze. Den Rest bringt der Tag dann nachwievor von ganz alleine. Diese Struktur gibt mir Halt und Sinn in dieser etwas unsinnigen Zeit. Und doch fühlt es sich seltsam leblos und tot an.

Ich mache aber auch andere Erfahrungen: dass mir gestern ein Gemeindemitglied einfach so von seinen Gefühlen erzählt hat. Und ich frage neugierig nach. Denn auch das bin ich in diesen Wochen: Ein Mensch, der ganz bewusst fühlt, was diese Zeit mit uns macht. Ich kann mich kaum daran erinnern, jemals so tiefgründig "gefühlt" zu haben und darüber so intensiv nachzudenken. 
Und wenn du deinem Inneren auf der Spur bist und mit anderen darüber sprechen kannst, dann ist das alles andere als "tot", sondern fühlt sich nur noch lebendig und gut und großartig an. 
Und ich denke mir: Was für eine gnadenreiche Zeit ist dies doch gleichzeitig!

4. Dezember 2020 - Rückzugsorte

Ich hatte heute Morgen im Wald beim Hundespaziergang einen richtigen Niesanfall. Und ich habe es genossen. Du kennst es vielleicht auch, dass man sich danach irgendwie gut und befreit fühlt. Nicht auszudenken allerdings, was an einem anderen Ort los gewesen wäre: im Bus, im Supermarkt... ein einziger Nieser hätte gereicht, dass man alleine im Laden gewesen wäre.

Wie schön, dass es diese Rückzugsorte gibt, wo man einfach mal so sein darf, wie man möchte und damit keinem auf die Füße tritt. Manchmal können auch Menschen so ein Rückzugsort sein. "Du, ich muss mal reden, hast du Zeit?" Und dann schüttet man sein Herz aus, ohne Angst haben zu müssen, etwas Falsches zu sagen und dafür verurteilt zu werden.

Kennst du das auch? Wo hast du deine Rückzugsorte?

30. November 2020 - Auf die Deutung kommt es an

Diese Woche nun haben wir schweren Herzens wieder liebgewonnene Adventsveranstaltungen abgesagt. Unser "Advent am Stern" und die "Waldweihnacht". Was hatten wir uns nicht alles Schönes überlegt? Das ist traurig - und auch schade um die Arbeit, die man da schon reingesteckt hat.

Aber man kann aus den Absagen in diesen verrückten Tagen auch etwas lernen, nämlich mit sich selber etwas gnädiger zu sein. Denn wie so viele Dinge im Leben, sind auch dies Sachen, die wir nicht kontrollieren können und zu verantworten haben. Wir geben unser Bestes, und wenn dann etwas nicht gelingt, dann ist das nicht gleich eine Niederlage. Eine Niederlage ist eine Sache erst dadurch, dass ich sie so deute.  

24. November 2020 - Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben

Gut 70% sind der Meinung, dass jeder Mensch ein Mittel zur Selbsttötung bekommen sollte, wenn er dieses so wünscht. So das Ergebnis der Zuschauerbefragung nach dem gestrigen Film "Gott", in dem es um den Fall eines Mannes ging, der - ohne körperliche Einschränkungen oder Krankheiten - sterben möchte.
Und ich kann den Menschen verstehen, solange es nur um die eigene Entscheidung geht. Denn ich kenne dies, dass man so gering von sich denkt und sich dann fragt: "Warum ist es eigentlich wichtig, dass du heute noch wach wirst?" Nein, meinen Wert habe auch ich nie wirklich in mir selbst gefunden. Wohl aber in dem Anderen: Die Frau in der Gemeinde, die mir sagt: "Es ist gut, dass wir sie haben." Oder die Familie, in deren Gefüge ich so wichtig bin, dass wahrscheinlich alles zusammenbrechen würde, wenn es mich nicht gäbe. Oder auch Gott, der mich jeden Tag an meine Taufzusage erinnert: "Ich habe dich ins Leben gerufen, weil ich dich liebe - so, wie du bist - und weil ich etwas mit dir vorhabe."
Eine Sache in dem Film wurde auch klar: Man muss respektieren, dass Menschen anders denken, dass sie ihr Leben auch als nicht-religiöse Menschen denken. Und sicherlich kenne ich die Abgründe und Einsamkeiten des Lebens doch zu wenig, um mir wirklich ein Urteil zu erlauben. Aber ich weiß, dass jeder Mensch, der stirbt, an irgendeiner Stelle eine Lücke hinterlässt und fehlt - das Recht auf Selbstbestimmung in allen Ehren.

19. November 2020 - Vertrauen in die Führung gewinnen

"Da fehlt dem Hund noch ein wenig das Vertrauen." Das hat mich schon getroffen, als ich mit einem Freund darüber sprach, dass mein Hund mit manchen meiner Befehle unsicher umgeht und sich nicht unbedingt in die Richtung schicken lässt, die ich ihn schicken will. Warum sollte er mir nicht vertrauen? Ich will doch immer nur das Beste für ihn?

Aber Vertrauen kann Unterschiedliches bedeuten. Klar wird mein Hund mittlerweile wissen, dass ich nur das Beste für ihn will. Das zeige ich ihm mit den vielen Schmuseeinheiten jeden Tag. Doch das ist etwas anderes als das Vertrauen in meine Führung. Dies ist eher schwierig und bedarf viel Zeit und exakte Kommunikation und Übung. 

Wenn ich mein Verhältnis zu Gott anschauen, geht es mir ebenso. Ich habe keinen Zweifel an seiner grundsätzlichen Haltung zu mir: dass er mich liebt und annimmt so, wie ich bin. Aber das Vertrauen zu gewinnen, dass er mich an jedem Tag sicher führen wird, das ist schwierig und ist wahrscheinlich auch erst am Ende eines langen gemeinsamen Weges zu erhoffen. 
In der Regel verlasse ich mich doch eher auf meinen eigenen Instinkt - wie der Hund. Dabei darf ich seinem Wort ruhig trauen, wenn er mich losschickt mit den Worten: "Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen." (Jesaja 43,2)

16. November 2020 - Das Auto in der Kieskuhle

Das wollte ich mir unbedingt anschauen: Ein Mann hatte versucht, mit seinem Auto die Baustelle in der Waldstraße zu umfahren. Hier ein Stück auf dem Fußweg, dort um die Schilder und Baufahrzeuge herum - und am Ende ist er in einer Kuhle mit Kies gelandet. 
Man kann darüber nur den Kopf schütteln.
 
Aber dann habe ich mir ausgemalt, wie der Mann sich wohl gefühlt haben muss, als er ausgestiegen ist und von den Bauarbeitern mit ungläubigen Blicken bedacht wurde. Das muss doch fürchterlich gewesen sein. Ich hätte einen hochroten Kopf bekommen und mich am liebsten weggeschämt.

Wenn ich daran denke, bin ich froh, dass ich es mir doch nicht angeschaut habe. Denn jeder neugierige Blick weniger in einer solchen Situation bewahrt dem anderen ein Stückchen mehr seiner Würde.

12. November 2020 - Alte Wege neu gehen

Es sind fast immer dieselben Wege, die ich morgens mit dem Hund durch den Stadtwald gehe. Nur gestern nicht. Da sind mein Hund und ich die Runde andersherum gegangen. Und auf einem Mal schoss es mir durch den Kopf: "Bist du richtig hier?" Ich hatte das Gefühl, einen ganz neuen Weg zu gehen. Beim Gang durch die Stadt oder unser Viertel würde es mir wahrscheinlich nicht so gehen - aber hier war es so.

Und im Leben ist es doch auch so, dass es Momente gibt, in denen uns ein neuer Blick auf unser Leben gestattet ist. Sei es durch therapeutische, seelsorgerliche Gespräche, durch Lebenskrisen oder was auch immer. Es ist und bleibt dasselbe Leben, aber durch den anderen Blickwinkel scheint es dennoch in neuem Licht. Und vieles, was eingefahren war und wo wir uns als festgelegt empfunden haben, kommt wieder in Bewegung. 

11. November 2020 - Ein nebliger Morgen

Wenn man mit Brille und Mundschutz vor die Tür tritt, dann geht das ganz schnell, dass man nichts mehr sieht. 
Heute Morgen ging es mir ähnlich - auch ohne Mundschutz. Denn es war total nebelig.
Gleichzeitig gibt es für mich kein Wetter, das ich mehr mag. Und den Tieren im Stadtwald geht es ebenso. Ich habe das Gefühl, dass das Rehwild sich dann viel mehr aus dem Unterholz heraustraut.
Nebel mag für manchen etwas Bedrohliches haben, mir gibt es ein Gefühl von Geborgenheit. Er legt sich wie ein Schutzmantel um mich.
Ich muss gestehen: Ich brauche diesen Schutzmantel manchmal - die Möglichkeiten, mich zurückzuziehen, die Möglichkeiten, ganz bei mir zu sein, ohne dass der Blick anderer auf mich gerichtet ist. 
Und wenn ich dann von meinem morgendlichen Spaziergang zurück bin, freue ich mich umso mehr, all die bekannten Gesichter zu sehen. 

9. November 2020 - Als vor 82 Jahren die Synagogen brannten

Wusstest du, dass die Bibel der Juden von rechts nach links und von hinten nach vorne gelesen wird? Und wusstest du, dass Juden sich zum Gebet kleine Schachteln mit den Worten des Sch´ma Jisrael, ihres Glaubensbekenntnisses, um den Oberarm und vor die Stirn binden?
Das Judentum ist uns in so vielen Punkten eine fremde Religion. Und das ist auch kein Problem. Das Meiste auf dieser Welt ist uns fremd. Die Hauptfrage ist doch immer, wie wir mit diesem Fremden umgehen: ob wir es als Gefahr für unser Welt- und Selbstbild sehen oder als Bereicherung. Und leider geht es häufig in die erste Richtung und hinterlässt dann Schutt und Asche, anstatt dass Menschen sich anstoßen lassen und sich jeden Tag neu auf einen Wachstumsprozess einlassen.

7. November 2020 - Stillesein und Hoffen

Ich bin nun schon den zweiten Morgen früh wach geworden, um die neuesten Entwicklungen rund um die Wahl in den USA zu hören und wurde enttäuscht: Nichts ist entschieden. Ich hätte ruhig ein wenig länger im Bett bleiben können.

Leider gilt das angesichts der hohen Coronazahlen, die wir nun auch in Uelzen haben, ebenso für unser übriges Leben. Es ist nicht die Zeit von großem Planen und Aktionismus.

Bei Jesaja im 8. Jahrhundert vor Christus gab es die Situation, dass der übermächtige König von Assyrien die Stadt Jerusalem umzingelt hatte. Das ganze übrige Land hatte er bereits eingenommen. Der judäische König seinerseits überlegte, die Ägypter, das mächtige Nachbarvolk aus dem Süden, heimlich zur Hilfe zu rufen. Der Prophet Jesaja predigte stattdessen: "Du Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein." Wie es dann weiterging? Nach einigen Wochen Belagerung sagte sich der assyrische König: Was soll ich hier wegen dieser kleinen Stadt noch eine lange Belagerung durchführen - zuhause ist es gemütlicher. Und weg war er.

Stillesein, Hoffen, Ruhe, Geduld - gerade in aufgeheizten Zeiten ist es wichtig, diese Tugenden zu pflegen.

3. November 2020 - Dem Bauchgefühl trauen

Ich habe heute etwas Tolles erlebt. Mein Hund hatte irgendwo seinen Ball verloren, den er immer trägt. Nicht dass es mir um den Ball großartig leid getan hätte. Ich habe mich eher geschämt, etwas zur sinnlosen Vermutzung des Stadtwaldes, dieses wunderschönsten Fleckchens Erde, beigetragen zu haben. Also: Wir gehen den ganzen Weg zurück! Und tatsächlich ist der Hund irgendwann nach vielen 100ten Metern zielstrebig ins Unterholz und kam mit seinem Ball zurück.

Bei dem Hund nennt man dies wohl Instinkt oder eine gute Nase. Wie würde man eine solche Fähigkeit bei uns Menschen nennen, wenn wir in schwierigen Situationen instinktiv das Richtige tun? Vielleicht würden wir am ehesten von Bauchgefühl sprechen. Der Verstand belächelt dieses Bauchgefühl gerne, dabei ist es doch nichts anderes als gebündelte Lebenserfahrung, die ihren Ort gefunden hat tief in unserem Unterbewussten. Und welch ein Schatz ist das - gerade in Momenten, in denen uns die Kontrolle über Situationen schwindet. 

31. Oktober 2020 - Reformationstag - Freiheit, ein vieldeutiges Wort

Es mutet ein wenig absurd an: Am Reformationstag, dem Tag der Freiheit, bereiten wir uns auf einen neuerlichen Lockdown vor. Allerdings: Ganz so leicht ist es nicht. Martin Luther hat vor 500 Jahren nicht gekämpft für die individuelle Freiheit, tun und lassen zu können, was man will. Er wäre der erste gewesen, der gegen Auswüchse egoistischen Verhaltens in diesen Tagen vorgegangen wäre. Natürlich haben gerade wir als Christen eine hohe Verantwortung für das Gemeinwesen und müssen alles unterstützen, was diesem dient.
Der freie Mensch ist für ihn der innerlich freie Mensch. Auf die vielen Fragen, die uns quälen: "Bin ich gut genug?" "Bin ich ein liebenswerter Mensch?" "Lebe ich richtig und verantwortungsvoll?" kennt er nur eine Antwort: Ja, du bist gut und liebenswert und richtig! Erlaube niemandem, ein bewertendes Urteil über dich zu sprechen, das anders aussieht als Gottes bedingungsloses Ja zu dir. Alles in deinem Leben hat seine Berechtigung und besitzt unendliche Perspektiven.

29. Oktober 2020 - Die Wege voller Laub

Es war schon taghell, und ich habe mich trotzdem im Wald verlaufen. Na, zumindest bin ich vom Weg abgekommen. Denn alles liegt voll von dem abgeworfenen Buchenlaub. Und dann ist es echt schwer, den Weg noch zu finden.
Aber zum Glück muss man sich nicht nur über die Wege orientieren. Der Hund findet die Wege sowieso, und mein innerer Kompass nennt mir ganz unbewusst ebenfalls viele Wegmarken. Egal wie sehr sich der Wald in diesen Herbsttagen verändert, es ist nicht so unübersichtlich, dass man nicht herausfände.

Was wir im Moment mit dem neuerlichen "Lockdown-light" erleben, fühlt sich für mich auch so an, dass ich die Wege nicht mehr erkennen kann. Die kommenden Termine werden abgesagt, und alles, was danach kommt und schon geplant ist für die Advents- und Weihnachtszeit, lässt sich mit einem Mal nicht mehr überblicken. Ich schaue etwas ratlos aus dem Fenster.
Ich merke aber auch, dass die alltägliche Routine nicht das Einzige ist, was mir den Weg durch den Tag und durch das Leben zeigt. Es gibt noch andere Wegmarken: Dass ich nicht alleine bin und Netz von Beziehungen um mich ist. Dass ich den in mir liegenden Möglichkeiten und Kräften trauen darf. Und dass ich meinen Gott in mir spüre, mit dem ich jederzeit ins Gespräch treten kann. Jetzt gerade ist es ein Bibelwort, das mir in den Sinn kommt: "Er gibt den Müden Kraft und Stärke, dass sie nicht straucheln und fallen, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler und nicht matt werden." (Jesaja 40)

26. Oktober 2020 - Bewusst wahrnehmen

"So ein Mist, dass ich mein Smartphone nicht dabei habe. Sonst hätte ich jetzt ein Foto machen können." Im Sonnenaufgang leuchtet der Himmel wunderbar rot über dem herbstlich gefärbten Buchenwald. "Dann wenigstens einen Moment stehen bleiben und das Bild in sich aufsaugen."

Stehen bleiben und bewusst wahrnehmen. 
Das sollte ich auch bei anderen Dingen öfter mal tun. Wenn ich z.B. in Gesprächen das Gefühl habe, dass da irgendetwas schräg ist. Viel zu häufig gehe ich dann darüber hinweg. "Irgendetwas hat da nicht gestimmt, aber sei´s drum, ich habe schließlich noch anderes zu tun." Und dann bleibt es unterschwellig in mir, und der Konflikt arbeitet dort weiter. Besser ist es, ihn einmal bewusst ans Licht zu holen und sich selber Klarheit über ihn zu verschaffen. Was passiert da eigentlich in der Begegnung? Was kann ich lernen über den Anderen und über mich? 
Auch in seinen Gefühlen muss man ab und an einmal aufräumen.

22. Oktober 2020 - Ich esse Pilze für mein Leben gerne

Ich esse Pilze für mein Leben gerne - und wenn ich in diesen Tagen mit dem Hund durch den Wald gehe, ärgere ich mir ein Loch in den Bauch, dass ich so wenig von Pilzen verstehe und die giftigen von den ungiftigen nicht unterscheiden kann. Oder sollte man es einfach mal versuchen? Besser nicht - es könnte der letzte gewesen sein.
Das Leben ist kein Pilz, aber manches ist doch ähnlich: Wir machen Erfahrungen, die uns das Leben bekömmlich machen, und andere, die unser Leben bitter machen oder gar vergiften. Und auch da erkennt man es in der Regel erst hinterher. 
Im Gegensatz zu den Pilzen gibt es im Leben aber kein Vertun, dass man es wagen sollte. Denn ich habe nur dieses eine Leben und muss bereit sein, es zu wagen, will ich es "erleben".  Wie anders wolltest du sonst diesen Tag beginnen, wenn du nicht bereit bist, die Ängste und die bitteren Erfahrungen abzuschütteln, loszugehen und dich offen dem zu stellen, was sich ereignen wird? 
Es wird ein "gelebter" Tag sein, und alleine darauf kommt es an. 

20. Oktober 2020 - Das Kreuz im Briefkasten

Dieses Kreuz lag gestern im Briefkasten - ohne Kommentar, ohne Namen, ohne Adresse. Hat jemand es gefunden und eingeworfen in der Hoffnung, dass bei mir am ehesten nachgefragt würde? 
Nein, wahrscheinlicher ist doch, dass jemand es bewusst abgeben wollte und sich gedacht hat, dass ich das Kreuz vielleicht noch an andere weitergeben kann. Das kommt häufig mal vor. Nur warum gibt man so ein Kreuz ab? Es ist immerhin aus Silber.
Ich stelle mir vor, dass der alte Besitzer es irgendwann einmal geschenkt bekommen hat. Zur Konfirmation vielleicht. Anfänglich hat er es viel getragen; es hat ihm etwas bedeutet, es stand für einen wichtigen Abschnitt seines Lebens; vielleicht hat er es manchmal auch bewusst in die Hände geschlossen und sich daran geradezu festgehalten. "Mag kommen, was will: Gott verlässt mich nicht!" Doch immer häufiger blieb es danach in der Schublade liegen. Das Leben ist halt weitergegangen, vorangeschritten. Und jetzt hat er es nach vielen Jahren dort liegen sehen - und es hat ihm nichts mehr gesagt.
Mir geht das auch so mit vielen Dingen in meinem Leben. Ich finde alte Erinnerungsstücke in den Schubladen und denke daran zurück, was sie mir einmal bedeutet haben. Doch es gelingt mir nicht mehr, diese alte Verknüpfung wiederherzustellen. Soll man ihnen nachhängen? Nein. Ich denke dankbar zurück, aber dankbarer noch bin ich dafür zu erkennen, dass mein Leben im Prozess ist und immer noch neu wird. Sich auf dem Weg zu befinden - darin liegt Glück und Zufriedenheit.
Und was das Umhängekreuz angeht: Ich habe so etwas nie getragen. Ich bekreuzige mich stattdessen, wenn es mir wichtig ist. Und ein solches Kreuz wächst mit - jeden Tag - mit den Erfahrungen, die Gott und das Leben mit mir machen. 
Quelle: privat

19. Oktober 2020 - Ich hatte einen Traum

Ich hatte letzte Nacht einen Traum: Ich werde eines Morgens wach, und es gibt kein Corona mehr. 
Das ist ja erst einmal ein schöner Traum. Doch bedenklicher ist das, was dann in dem Traum folgte: Ich gehe aus dem Haus und stelle mich als erstes allen Menschen neu vor. "Guten Tag, mein Name ist Ulrich Hillmer, ich wohne hier und bin ihr Pastor."

Bis in den Traum hinein merke ich die Entfremdung, die Corona mit sich bringt. Habe ich gestern Abend noch bei den Nachrichten den Kopf geschüttelt über die jungen Menschen, die unbedingt Party machen wollen, so habe ich heute mehr Verständnis für sie. Wir sind nun einmal Beziehungsmenschen und brauchen Kontakte.

Man mag gespannt sein, wie es sich tatsächlich anfühlen wird, wenn wir eines Tages wach werden und Corona vorbei ist. Wenn dann die Freude über manche wiedergewonnene Begegnung genauso spürbar ist wie deren momentanes Fehlen und ich mein Leben und meine Beziehungen umso bewusster erfahre, dann ist das auch etwas. „Guten Tag, ich bin ihr Nachbar – und ich freue mich, Sie zu sehen!“ 

10. Oktober 2020 - Der Blick in die Stellenanzeigen

Ich schlage die Wochenendzeitung auf und bin erstaunt über die vielen Stellenanzeigen. "Worauf würde ich mich wohl bewerben?", schießt es mir durch den Kopf. Und ich bleibe hängen bei der Stelle eines Hausmeisters. "Ja, dazu hätte ich Lust - schrauben, bohren, reparieren."
Im nächsten Moment werde ich aber schon aus meinem Tagtraum gerissen. Ich muss mich für die Taufe fertig machen, die gleich in der Kirche stattfinden soll. Oder doch einfach alles an den Nagel hängen und Hausmeister werden? Gott bewahre!

Denn was lehrt mich dieser Blick in die Wochenendzeitung? Doch nicht, dass die einst getroffenen Lebensentscheidungen falsch waren. Ich bin fest davon überzeugt, dass alles zu seiner Zeit seine Berechtigung hatte und hat. Sondern eher, dass ich immer noch mehr bin als der eine Beruf - ein Mensch mit verschiedenen Begabungen, von denen ich stets neue entdecke. 
Und vielleicht kommt ja irgendwann wirklich auch der Punkt, etwas Neues zu beginnen. Aber jetzt muss ich erst einmal los, die Taufe ruft. Und was kann es Schöneres geben, als ein junges Menschenkind zu segnen und ihm die Liebe Gottes zuzusprechen!

9. Oktober 2020 - Es lohnt der zweite Blick

"Wie kommt denn nur dieser gigantische Kuhfladen auf meinen Dachboden?" Ich mochte mich dem Ungetüm gar nicht nähern, dachte schon daran, eine Schaufel zu holen und es mit langem Stil zu entfernen. Doch dann erkannte ich, was es ist: Ein wunderbar gebautes Wespennest.
Es lohnt eben doch immer der zweite Blick. 
Das gilt auch an anderer Stelle: Für die Menschen, mit denen ich zu tun habe und die ich gerne in Schubladen stecke. Und ebenso für mein eigenes Leben gilt das. Auch da denke ich vielfach in Schubladen: "Das konntest du noch nie" oder "Diese Begabung hast du sowieso nicht". 
Wie gesagt: Es lohnt immer der zweite Blick. Und dann entdecke ich immer neue Sachen an mir. Das Leben ist voller Möglichkeiten!
Quelle: privat

7. Oktober 2020 - 24 Stunden Leichtigkeit

"Seht die Vögel am Himmel an. Sie sähen nicht und ernten nicht, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch." Was bei Jesus der Blick auf die Vögel ist, das ist für mich, meinem Hund zuzuschauen. Der wedelt den ganzen Tag mit dem Schwanz - ununterbrochen. Wenn man doch auch nur mehr von dieser Leichtigkeit und Lebensfreude hätte.
Leider ist es bei mir anders. Da sind häufig schwere Gedanken. Ich nehme mir vieles zu Herzen.
Aber ich merke doch, wie es gut tut, ihm zuzuschauen und einen so fröhlichen Freund an der Seite zu haben. Auch wenn ich es ihm nicht nachtun kann, springt gleichwohl etwas von seiner Leichtigkeit auf mich über. Und mein Tag wird anders.
Was sind die Dinge, die dir den Tag leichter machen? 

5. Oktober 2020 - Den Spiegel vorhalten

"Man müsste ihm mal einen Spiegel vorhalten, wie er auf andere wirkt", sagt meine Frau, als wir uns über eine Person aus der Gemeinde unterhalten. Und ich weiß genau, was sie meint. 

In der Tat tut uns allen manchmal ein solcher Spiegel von außen gut. Nicht nur, um manche unfreundliche Ausstrahlung zu entlarven. Sondern vor allem, um die Diskrepanz zwischen unserem Innenbild und unserem Außenbild zu entlarven. 

Soll ich ihn darauf ansprechen, frage ich mich?  Ich weiß, ich werde es nicht tun. Zumindest nicht einfach so. Vor allem muss ich mir ganz sicher sein in meiner Haltung zu ihm. Denn nur wenn meine Haltung zu ihm von grundsätzlicher und ehrlicher Wertschätzung getragen ist, wird er die Chance haben, sie anzunehmen. Den anderen Fall kennen wir schließlich zur Genüge: Wenn Kritik verletzt und allzu häufig verletzen will, dann lernen wir nur umso mehr, uns abzukapseln.  

1. Oktober 2020 - Charlie, der Typ an der Entladerampe

Der Schornstein bei der Zuckerfabrik raucht wieder. Ob Charlie wohl immer noch an der Entladerampe steht? Er hatte Halbglatze, und die restlichen Haare hingen ihm bis zum Hintern. Und immer stand er dort im Unterhemd, selbst bei 15 Grad minus. Man erzählte sich von ihm, dass er nur während der Kampagne dort arbeitete, rund um die Uhr, und sich dann den Rest des Jahres ein schönes Leben machte.
Natürlich steht Charlie da heute nicht mehr. Meine Erinnerungen sind 35 Jahre alt. Aber solche Typen vergisst man nicht. Sie passen in kein Schema und sind gerade darum so besonders. Davon müsste es mehr geben. Ich jedenfalls hätte nichts dagegen, wenn andere irgendwann so von mir sprächen: "Ein bisschen durchgeknallt vielleicht, aber ein Typ." Und du? 

30. September 2020 - Eine Frage an den Erhalter der Welt

Ich schaue mir die Fichten in meinem Pfarrgarten an. Sie sterben. Zwei sind schon tot. Bei den anderen beiden halten die Nadeln kaum noch an den Zweigen.
Gleichzeitig feiern wir Erntedank, und ich habe den Satz Gottes aus der Noahgeschichte im Ohr: "Es sollen nicht aufhören Sommer und Winter, Saat und Ernte ..." (1. Mose 8,22)
Wie bekomme ich nur beides zusammen? Wo ist Gott mit seinem Versprechen? Und wie lange feiere ich noch Erntedank, als wäre alles in Ordnung?
Die Fichten werden im November gefällt. Ob ich ihr Grün noch für den Adventskranz in der Kirche nehmen kann, weiß ich nicht. Ich kann es mir leicht machen und von irgendwo anders Zweige dazukaufen. Aber vielleicht ist es auch an der Zeit, den Mut aufzubringen, ihn einmal bewusst aus den vertrockneten Zweigen zu binden. 

18. September 2020 - Die 7 Söhne des Himmels

Auf dem Kirchplatz ist ein neuer Busch gepflanzt. Und nicht nur hat er eine hübsche Herbstblüte, er hat auch einen Namen, der zu St. Johannis passt: "Die 7 Söhne des Himmels". 

Und bevor sich jetzt alle "Töchter" darüber aufregen oder jemand sagt, dass die in St. Johannis nun komplett abdrehen, weil sie sich als "Söhne des Himmels" bezeichnen: es geht mir um die Zahl 7, die auch ansonsten überall in unserer Kirche auftaucht.

Was ist das Besondere an der Zahl 7? 
In ihr vereinen sich die 4 als Zahl für die Welt (4 Himmelsrichtungen, 4 Jahreszeiten) mit der 3 als Zahl für Gott (Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist). Und wenn sich dieses in der Kirche zur 7 vereint, dann soll damit gesagt werden: Hier berühren sich Himmel und Erde. Oder mit dem Erzvater Jakob gesprochen nach seinem Traum von der Himmelsleiter: "Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels." (1. Mose 28, 17)

Warum soll nicht auch unser neuer Busch auf dem Kirchplatz den Anspruch an sich haben, dass er himmlische Gefühle in uns wachruft?
Quelle: privat

14. September 2020 - Räume gegen die Angst

Angst ist das Mittel der Diktatoren und Populisten. Die Ordnung bricht zusammen, sagen sie, wenn ihr mir nicht folgt.

Angst kann auch in jedem Einzelnen eine Diktatur ausüben. Evolutionär ist sie angelegt als Schutzinstrument, das mich vorsichtig sein lässt. Doch sie kann schnell auch die Handlungsfreiheit einengen, eine Bremse sein, die uns hindert, dass gefühlt Notwendige zu tun. Wir bleiben in unseren Rollen, Beziehungen und Strukturen verhaftet, auch wenn wir spüren, wie sehr uns dieses beengt und dass es eigentlich Zeit ist, Neues zu wagen.

In Belarus merkt man, dass Freiheit wachsen kann, wo Räume entstehen - die Demonstrationen und Streiks vieler -, in denen die Angst ihre einschüchternde Macht verliert. 
In dem persönlichen Leben sind dies Menschen, die mich hineinnehmen in einen Raum des Vertrauens, in deren Nähe ich keine Angst haben brauche, etwas Falsches zu sagen oder zu tun. Ich darf so sein, wie ich bin, und brauche nicht irgendeinem Muster zu folgen aus Angst, andernfalls nicht mehr gemocht zu sein. Und dann ist Veränderung möglich.

12. September 2020 - Warum halte ich mich in Gesprächen immer zurück?

Ärgerst du dich auch manchmal über Leute, die sich in Gesprächsrunden hervortun? Wenn einer immer das Gespräch an sich zieht?

Natürlich kann das auf Dauer sehr ermüdend - und eben ärgerlich sein. Andererseits, behaupte ich, ärgert man sich dann immer auch ein Stückweit über sich selbst. Denn es ist ja nicht so, als wäre ein Gespräch eine Einbahnstraße. Jeder kann den Gesprächsverlauf beeinflussen. Ich kann den anderen unterbrechen oder Gesprächspausen nutzen, um mich selbst mehr einzubringen. 
Darum muss man sich immer auch die Frage gefallen lassen, warum man sich selbst so sehr zurückgehalten hat. Warum nur achte ich mich mit dem, was ich zu erzählen habe, für so gering?

Und dieser Frage nachzugehen, scheint mir viel interessanter zu sein, als darüber nachzudenken, warum der andere immerzu das Gespräch dominiert. 

9. September 2020 - Nur ganz bist du das Gesamtkunstwerk

Unsere Gemeinde hat verschiedene Gebäude. Aber wusstest du auch, dass sie diesen prächtigen Ahorn besitzt? Er steht im Pfarrgarten, ist vermutlich zur Zeit des ersten Pastors, Herrn Meinberg, in den 50er oder 60er Jahren gepflanzt worden und von allen Seiten weithin sichtbar. Ein echter Hingucker.

So ein Baum fordert aber auch Verantwortung. Denn die Äste sind mittlerweile so schwer, dass man ihn regelmäßig auf Schäden begutachten muss. Und oben in der Krone ist er auch schon mit Stricken verzurrt, die ihm zusätzliche Stabilität geben.

Ich habe den Baumsachverständigen mal gefragt, warum wir nicht einfach den ein oder anderen schwere Ast rausschneiden. So denkt man halt als Laie. Erstaunt hat mich seine Antwort. Er sagte, dass der Baum ein Gesamtkunstwerk sei und jeder Eingriff eine Schwachstelle schaffen würde, wo dann Wind und Sturm ihn schädigen könnten. Das leuchtet ein.

Und diesen fürsorglichen und geradezu liebevollen Blick würde ich mir auch wünschen für jeden von uns: dass wir aufhören, über diesen und jenen Makel an uns nachzudenken, und endlich begreifen, dass alles zusammen das Kunstwerk ausmacht, das jeder von uns ist. 
Quelle: privat

5. September 2020 - Wat schast da ock moken?

"Da kannste nix moken. Wat schast da ock moken?"

Verstehst du Plattdeutsch? Diesen Satz hat in meiner Jugend immer ein Bauer gesagt, wenn irgendetwas nicht geklappt hat. Ich habe ihn mir vielleicht aus dem Grund gemerkt, weil ich auch immer eine Tendenz hatte, so zu reden, wenn irgendetwas schief ging: "Da kannst du nichts machen. Was soll man da auch machen?"

Heute denke ich, dass das kein guter Satz ist. Denn du kannst immer etwas machen. Es ist die Frage, ob du es wirklich willst. Wir müssen bereit sein, die Veränderung zu denken, damit wir sie tun können. Darum: Bevor du dich in Klagen über deinen Zustand verlierst, verschwende einmal einen Gedanken daran, wie es wäre, einfach mal eine 180-Grad-Wendung zu vollziehen. Wie fühlt sich das an? Und wenn es sich gut anfühlt, dann tu es.

3. September 2020 - Vom Unterschied zwischen Mut und Leichtsinn

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Mut und Leichtsinn? Wenn ich Anlauf nehme und über einen breiten Graben springen will, bin ich dann mutig oder leichtsinnig? Klar, wenn ich den Sprung schaffe, war ich mutig, und wenn ich ins Wasser falle, halt leichtsinnig.

Wir haben im Grunde nur zwei Instrumente, um unsere Entscheidungen zu treffen: Zum einen unsere Erfahrung und das realistische Abwägen unserer Möglichkeiten und Bedürfnisse. Und zum anderen unser Bauchgefühl, dem wir ruhig einmal öfter nachgehen sollten, weil es uns viel von uns selbst zu erzählen hat.

Bei meinem Hund kann ich es gut beobachten, wie er in Kombination von Erfahrung, Abwägung und Bauchgefühl ein Hindernis sehr entschlossen mal überspringen und mal umlaufen lassen. Und er wedelt auch dann noch freudig mit dem Schwanz, wenn er mitten im Matsch gelandet ist. 

Das Leben hängt glücklicherweise in der Regel nicht ab von einer leichtsinnig getroffenen Entscheidung. Aber in jedem Fall bringt es nichts, da allzu lange drüber nachzudenken. Lieber nach vorne schauen: Dann bin ich halt beim nächsten Mal klüger. 

1. September 2020 - Es darf auch mal Krachen

Ein Streit hätte gut getan!

Du wunderst dich, dass ich als Pastor so rede? Aber es ist so. Denn du kennst das doch auch, dass man in Sitzungen sitzt und alle "kontrolliert" und "sachlich" diskutieren und gleichzeitig die Luft zwischen den Teilnehmern immer dünner wird. Aber man darf es ja nicht sagen, dass eine bestimmte Äußerung einen verletzt habe und man sich gekränkt fühlt. Das wäre "unprofessionell". 

Ich finde diese Art des Miteinanders sehr belastend. Denn Dinge können nur wirklich geklärt werden, wenn sie ausgesprochen und gehört werden. Und das sind dann nicht nur die sachlichen Argumente, sondern auch das, was es in mir auslöst, meine Gefühle. Und da lob ich mir doch manchen ehrlichen Streit, vor allen Dingen dann, wenn ich am Ende des Streites das Empfinden mitnehmen darf, gehört worden zu sein.

29. August 2020 - Was ist der Grund für deine Entscheidungen?

Mein Hund fragt mich bei den Spaziergängen immer nach dem Weg. Sobald wir an Wegkreuzungen kommen, schaut er sich um und wartet auf mein Signal. Wenn ich nichts mache, entscheidet er bzw. seine Nase. Er gehorcht, aber er weiß gleichzeitig genau, was er will.

Bei mir selbst ist das häufig nicht so. Da fällt es mir sehr schwer, zu spüren, was ich in meinem Inneren eigentlich will. Sind nicht viele Entscheidungen so, wie das Umdrehen meines Hundes und das ängstliche Erkunden, was wohl andere von mir erwarten oder was irgendwelche gesteckten Normen fordern? 

Für den Hund ist das eine so gut wie das andere: ob ich entscheide oder er. Und auch für einen selbst ist es ja nicht schlimm, wenn ich nicht immer meinen eigenen Entscheidungen folge, sondern bestimmten Notwendigkeiten oder Konventionen. Ich lebe nun einmal nicht alleine auf dem Planeten und bin durch vielerlei Beziehungen und Traditionen geprägt. Doch ich denke, es ist gut, sich des Unterschieds bewusst zu sein und das Selbst nie ganz aus dem Auge zu verlieren. 

28. August 2020 - Endzeitbotschaften im Briefkasten

Da war wieder ein Brief ohne Absender im Kasten. Das macht immer schon misstrauisch. Im Brief finde ich alle möglichen Schriftstücke aus dem Internet zu dem Ende der Welt, dass die Strafe Gottes für die Ungehorsamkeit der Menschen unmittelbar bevorstehe ...

Solche Papiere wandern bei mir gleich in den Papierkorb. Weniger abschütteln kann ich dagegen den Gedanken an den Menschen, der mir das heimlich hat zukommen lassen. Warum lässt er sich von diesen Hetzern und Angstmachern so gefangen nehmen? Warum findet er in dieser Welt, wie sie ist, kein Zuhause? 
Ich möchte nicht arrogant wirken, wenn ich so frage, aber ich denke doch, dass eine negative Weltsicht nicht von ungefähr kommt. Denn negative Haltungen basieren auf negativen Erfahrungen. Hat er es viel zu selten erlebt, dass andere sich mal ehrlich nach ihm erkundigt haben, ihn wirklich als Mensch wahrgenommen haben?

Mal sehen. Vielleicht ist beim nächsten Mal ja ein Name darauf und ein Gesicht dabei, dass wir reden können und ich ihn kennenlernen darf. 

24. August 2020 - Sei der, der du in Wahrheit bist

Was ist das Ziel deines Lebens? Unterschwellig begleitet wohl jeden von uns diese Frage. Wer möchte ich sein? Was möchte ich sein?
Der Philosoph Sören Kierkegaard hat als Lebensziel einmal formuliert, "das Selbst zu sein, das ich in Wahrheit bin". Und das ist eine Absage an alle Lebenskonzepte, die darauf abzielen, sich zu einer bestimmten Person hinzuentwickeln und Dingen nachzustreben, die "allgemein" in der Gesellschaft als erstrebenswert gelten. Wer kennt nicht Sprüche wie "Mit der Abiturnote hättest du doch dies und jenes studieren können"? 
Aber um wieviel wichtiger ist es doch, tatsächlich der zu sein, "der man in Wahrheit ist" und seinen eigenen Weg zu finden? Insofern: Hör in dich hinein und erspüre, inwieweit dein Leben dem entspricht, was du in dir fühlst. 

20. August 2020 - Ich habe mehr gearbeitet als alle

Stress hat man nicht nur, wenn man zu viel Arbeit hat, sondern auch, wenn man zu wenig Arbeit hat. Das merke ich besonders jetzt in Corona-Zeiten. Es ist frustrierend, vieles nicht machen zu können, was ansonsten zu dem Tun ganz selbstverständlich dazugehört hat. 
Und wenn ich ehrlich bin, liegt das auch daran, dass sich mein Selbstwert sehr stark über das definiert, was ich schaffe. 

Bei Paulus findet sich ein Brief, in dem er seinen Widersachern einmal aufzählt, was er alles geleistet hat. Und als Überschrift über diese beeindruckende Lebensbilanz lässt sich ein Satz stellen: "Ich habe mehr gearbeitet als alle." Respekt! Doch dann berichtet er von einer Krankheit, die ihn getroffen hat. Und so sehr er auch gebetet habe, hat Gott die Krankheit nicht von ihm genommen. Stattdessen hat er ihm gesagt: "Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." (2. Korinther 12, 9) Und in dem Moment hat Paulus etwas gelernt, nämlich dass er sich wahren Selbstwert nicht durch endloses Schaffen erarbeiten kann, sondern ihn sich zusprechen lassen muss: Dadurch, dass wer anderes sagt "Du bist geliebt und gut, so wie du bist."

Fragt sich noch, wie Gott denn zu Paulus gesprochen hat. Für mich ist das ganz klar: Es ist der Zuspruch und die Liebe, mit der wir uns gegenseitig begegnen. Und jeden Tag danke ich innerlich den Menschen, die mir ihre Liebe und Zuneigung schenken und gerade in dieser Corona-Zeit zeigen: Nicht um deines Schaffens willen bist du etwas Besonderes!

18. August 2020 - Wie fühlst du dich?

Wenn man diese Frage gestellt bekommt, geht man in der Regel schnell darüber hinweg. Denn sie klingt wie "Wie geht es dir?" "Ja, gut, danke", sagt man dann, ohne weiter nachzudenken. 

Und der Grund dafür, dass wir unser "Gefühl" so häufig übergehen, liegt darin, dass wir uns selbst in unserem Gefühl viel zu wenig wahrnehmen. Wir funktionieren tagein tagaus, wir zahlen unsere Hypotheken, wir gehen zur Arbeit, wir erziehen unsere Kinder.... aber "fühlen"?

Ich würde es gerne von dir wissen: "Wie fühlst du dich?" Und vielleicht hilft dir diese Frage, einmal in dein Innerstes reinzuspüren und das Glück zu empfinden, dass es bedeutet, ganz bei sich zu sein.

17. August 2020 - Ein Fehler ist etwas anderes als eine Fehlkonstruktion

Wir neigen ja dazu, mit uns für unsere Fehler sehr hart ins Gericht zu gehen. Lange Zeit gehen sie uns noch nach, rauben uns die gute Stimmung und den Schlaf. Nur ist der einzelne Fehler nicht das Problem. Er ist vergleichbar einem faulen Apfel auf einem gesunden Apfelbaum. Das passiert und ist ganz normal. Der Apfelbaum ist und bleibt ein Apfelbaum, auch wenn er einige faule Äpfel trägt.

Darum solltest du lernen zu akzeptieren, dass du ab und zu Fehler machst. Du bist und bleibst ein liebenswerter Mensch. 

16. August 2020 - Leben mit Unsicherheit

Fast 1500 Neuinfizierte jeden Tag - die Unsicherheit ist groß, in welche Richtung sich die Zahlen entwickeln und wie unser Leben nach den Sommerferien aussehen wird. Klappt es in den Schulen mit dem Regelunterricht?

Das Problem ist aber auch, dass du und ich nicht gewohnt sind, uns einem offenen Prozess zu stellen. Die Erwartungen an das Leben verlaufen in einem festgelegten Rahmen, und ich möchte immer wissen, was hinter der nächsten Kurve auf mich wartet. Alles andere bedeutet Stress.

Corona mutet uns viel zu, aber es ist auch wie ein Spiegel. Und ich kann mir überlegen, was ich mache mit dem Bild, das ich da sehe. 

13. August 2020 - Liebesbrief in Ravensbrück

So einen Brief hatte ich bis dahin noch nicht gesehen: Geschrieben in winziger Schrift auf dem Papier eines ausgerollten Zigarettenfilters. Die Schrift gleichzeitig gestochen scharf, dass man jedes Wort lesen konnte. Und beeindruckend auch der Inhalt: Es ist der Liebesbrief eines Mannes an seine Frau, voller Worte von Zärtlichkeit.

Wo ich diesen Brief gesehen habe? Ich war im Konzentrationslager Ravensbrück, gelegen etwa 3 Stunden westlich von uns inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte. Vornehmlich Frauen wurden dort untergebracht und dann ermordet. Aber in den sogenannten Folterzellen saßen in den Anfangsjahren auch viele Männer ein.

Es fragt sich natürlich, wie der Brief aus den Folterzellen zu den Frauenunterkünften gelangt ist. Man vermutet, dass die geheime Post unter dem Deckel eines großen Essensbottichs zwischen den Häusern hin- und hergetragen wurde.

Als ich den Brief gelesen habe, musste ich vor Rührung weinen. Aber es war auch Scham.

11. August 2020 - Routine gibt dem Leben Halt

Urlaubszeit ist die schönste Zeit des Jahres, aber sie ist häufig auch die Zeit der Krisen. 
Und man kann es vielleicht ganz gut mit dem vergleichen, was ich in meinem Urlaub viel gemacht habe: Stand-up-Paddeln. Eigentlich ist das eine total einfache und sichere Sache auf so einem Stand-up-Board - jedenfalls so lange, wie man in gleichmäßigen Zügen immer wieder das Paddel ins Wasser setzt. Die Routine gibt Standfestigkeit. Gefährlich wird es, wenn man eine Pause einlegt, den Kopf hebt, den Blick übers Wasser schweifen lässt und die Gedanken kommen, dass man irgendwie ja doch ganz schön wackelig auf dem dünnen Brett steht. 
Insofern: Alltag und Routine sind wichtig und geben Halt, wenn das Leben an der ein oder anderen Stelle aus den Fugen geraten ist oder die Urlaubszeit uns eine Auszeit bringt.

Aber unabhängig davon sind Krisen immer auch eine große Chance. 
Beim Stand-up-Paddeln musst du dann einfach mal kurz in die Knie gehen und dich sammeln. Du findest deine innere Ruhe wieder. Und wenn du dich dann erneut aufrichtest, geht es nicht nur mit neuer Kraft weiter, sondern auch um eine Lebenserfahrung bereichert. 

9. Juli 2020 - Alles ist möglich dem, der da glaubt (Mk. 9, 23)

Die Corona-Zeit ist eine Zeit zum Süchtig-Werden. Ein Drittel mehr Alkohol soll von den Deutschen konsumiert werden. Bei mir sind es eher die Süßigkeiten, die ich in rauen Mengen esse. Und bei anderen ist es wieder anderes - im Grunde kann man nach fast allem süchtig werden.

Was ich bei der Gruppe trockener Alkoholiker, die sich immer in unserem Gemeindehaus trifft, gelernt habe, ist die Tatsache, dass man davon auch wieder loskommen kann und Veränderung immer möglich ist. Das Entscheidende ist allerdings, dass ich es selber will. Kein anderer kann das für mich machen. 
Und man kann in der Gruppe erleben, welchen Schub die Erfahrung erfolgreicher Veränderung einer Persönlichkeit gibt. Denn wenn ich bei einer Sache den Erfolg verspüre, dann traue ich mir auch bei der nächsten Lebensaufgabe etwas zu und höre auf, mit Entschuldigungen und Abwehrwänden vor den unangenehmen Wahrheiten meines Lebens davon zu laufen. 
Das macht für mich eine starke Persönlichkeit aus. 

7. Juli 2020 - Du musst nicht perfekt sein

Meine Uhr geht immer ein wenig nach. "Es gibt auch hübschere", sagt zudem meine Frau. Also hab ich mir im Internet einmal neue Uhren angeschaut. Und du glaubst nicht, was die mittlerweile alles können: Schritte zählen, Herzfrequenz messen, Telefonate anzeigen usw.

Aber je mehr ich geschaut und gelesen habe, desto weniger Interesse empfand ich, meine Uhr noch zu tauschen. Diese Hochleistungsuhren sind einfach nichts für mich. Was soll ich mit all dem Kram? Ich selbst bin auch nur Mittelmaß, funktioniere auch nicht immer exakt und möchte deshalb ebenfalls nicht ausgetauscht werden. Außerdem weiß ich, dass es Gott genauso geht. Er liebt auch eher das Krumme und Schiefe als das Perfekte. 

Bleib ich also bei meinem guten alten Stück. Und wenn ich mal nicht auf die Minute pünktlich bin, geht die Welt auch nicht gleich unter.

4. Juli 2020 - Das Schweigegebot ist nicht alles

Mein Pfarrbüro hat doppelte Türen. Das, was mir dort anvertraut wird, soll nicht nach draußen dringen - das Schweigegebot ist im seelsorgerlichen Gespräch ein hohes Gut. Und auch für andere Gespräche gilt das. Vertrauen wächst nur dort, wo beim Gegenüber bleibt, was man ihm anvertraut hat.

Aber mindestens ebenso wichtig ist für mich die Haltung des Zuhörens. Da reicht es nicht, einfach "neutral" zu sein und nur zuzuhören - wie beim klassischen Bild des Psychologen, der nach einer Stunde Stift und Klemmbrett zur Seite legt und sagt: "Ihre Zeit ist rum." 
Ich muss mich dem Anderen wertschätzend zuwenden und ihm signalisieren, dass ich ihn nicht bewerte, egal, was er mir erzählt. "Du kannst mir alles sagen, und ich werde dich nicht verurteilen." Erst diese annehmende Haltung wird ihm eine Tür zu einer neuen Erfahrung öffnen. "Wenn er mich nicht verwirft für das, wofür ich mich schäme oder schuldig fühle, dann finde ich auch den Mut, selbst davor nicht mehr wegzulaufen, sondern es anzuschauen und daran zu arbeiten!" Und das ist der Anfang aller Veränderung.

2. Juli 2020 - Von der Art des Fragens

Man fragt sich manchmal, weshalb man so unbefriedigt aus mancher Begegnung herausgeht und viele Gespräche so oberflächlich verlaufen. Der Grund liegt häufig in der Art unseres Fragens. Denn wir erkundigen uns nach diesem und jenem - und bleiben dann immer auf der sachlichen Ebene, auf der wir gerne auch noch den ein oder anderen Ratschlag einfließen lassen. Und solche Gespräche bewegen sich dann zudem in der Regel in der Vergangenheit. "Wie war denn dies, wie war denn das?"

Wenn du ganz in der Gegenwart und ganz bei deinem Gegenüber sein willst, lautet die Frage anders: "Sag, wie fühlst du dich denn jetzt?" Und dann kann man erleben, dass ein Gespräch anders verläuft. Das Gegenüber wird sich Zeit nehmen für die Antwort, denn hier geht es schließlich um was - um mich und mein Innerstes. Und er oder sie wird sich gewertschätzt fühlen, dass da jemand an ihm bzw. ihr als Person Interesse hat. 
Und so ein Gespräch schafft Begegnung und Nähe und macht den Tag gleich ein bisschen freundlicher.

30. Juni 2020 - Von Scham und Schuld

"Da habe ich aber wieder Schuld auf mich geladen, dass ich neulich ohne zu grüßen an ihnen vorbeigegangen bin." Ich wundere mich, habe keine Erinnerung. Zudem hätte sie auch einfach sagen können, dass sie in Gedanken war und mich darum nicht gesehen hat. Aber sie benutzt das schwergewichtige Wort "Schuld".

Was ist Schuld eigentlich?  Man muss trennen zwischen dem schuldhaften Handeln, wodurch wer anders zu Schaden gekommen ist, und dem Schuldgefühl. In ihm spiegelt sich zunächst einmal nichts anderes als ein Handeln, das nicht zu meinem Bild von mir selbst passt. Die Schuld besteht darin, dass ich mich in einer Weise verhalten habe, wie ich mich eigentlich nicht sehe. Und wir erinnern uns alle an solche Punkte, an denen wir uns erlebt haben wie eine Person außerhalb unseres Selbsts.

Es hilft an der Stelle, diese ungebetene Seite bewusst als Teil von sich anzunehmen, sie zu sich einzuladen. Dann erweitert sich mein Selbstbild, und ich habe nicht mehr diese permanenten Reibungsenergien in mir. "Ja", sage ich also zu der Frau, "so geht mir das auch häufig. Das tut mir dann auch sehr leid" - ich will den anderen schließlich nicht missachten - ,"aber so bin ich nun einmal." 
Nur von Schuld spreche ich nicht mehr.

27. Juni 2020 - Wie ein Adler seine Jungen trägt ...

Die Jungvögel verlassen die Nester. Im Stadtwald sieht man sie im Moment überall bei ihren ersten Ausflügen. Und im Gegensatz zu uns Menschen geben ihnen die Eltern einen guten Schups, dass sie das Nest verlassen. Aber gleichzeitig beobachten sie sehr genau die ersten Flüge, um ggf. helfend einschreiten zu können. Das ist besonders von den Adlern bekannt. Sie werfen die Jungen aus dem Nest und begleiten den ersten Flug, um notfalls unter ihnen die Flügel breit zu machen und sie zurück ins Nest zu tragen.
Was für ein schönes Bild. Die Bibel hat es mehrfach auf Gottes Verhältnis zu uns übertragen. In 5. Mose 32, 11 heißt es: "Wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt, so bereitete der Herr seine Fittiche aus und nahm ihn (gemeint ist Jakob = das Volk Israel) und trug ihn auf seinen Flügeln."

26. Juni 2020 - Gott sieht auch die verborgenen Schätze

Die Konfirmanden haben ihre Konfirmationskerze gebastelt. Und es war interessant festzustellen, wie gedankenversunken und kreativ sich ausgerechnet diejenigen der Aufgabe gewidmet haben, die ansonsten nur still da sitzen und mit dem traditionellen Auswendiglernen eher ihre Probleme haben.

Es hat mir einmal mehr gezeigt, wie eng die Kriterien sind, nach denen wir uns immer beurteilen - ob einer gut mitarbeitet und alles gut gelernt hat. 
Und ich habe einmal mehr gemerkt, wie anders Gott das doch mit uns macht. Denn der sieht auch all diese Schätze, die wir eher im Verborgenen in uns tragen, die man so häufig übersieht und in der Regel viel zu wenig wertschätzt. 

"Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an." (1. Sam. 16, 7) 

23. Juni 2020 - Der Schrecken des Gehasi

Eine meiner Lieblingsgeschichten aus der Bibel ist die von Gehasi. Allein der Name ist schon klasse. In jeden Fall ist Gehasi der Knecht des Propheten Elisa. Und nachdem dieser sich permanent mit dem König von Aram angelegt hatte, erlebt Gehasi einen absoluten Schockmoment. Als er nämlich aus dem Fenster schaut, ist das ganze Haus von Soldaten umstellt. Bleich vor Schrecken steht er da. Und was macht Elisa? Er sagt nur: "Fürchte dich nicht, denn derer sind mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind." Gehasi wird nur gedacht haben: Spinnt der jetzt komplett? Doch dann wurden auch ihm die Augen geöffnet, und nun sah er es. Ja, da waren viele Soldaten des Königs, aber hinter ihnen bis zum Horizont standen die Engel Gottes, dicht an dicht.
Jetzt bist du sicherlich gespannt, wie die Geschichte ausgeht. Du kannst selber im Alten Testament nachlesen im 2. Buch der Könige im 6. Kapitel. 
Aber mir reicht eigentlich schon dieser eine Satz: "Fürchte dich nicht, denn derer sind mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind." Es geht immer darum zu erkennen, was auf meiner Seite ist, und nicht darauf, was sich gegen mich stellt.

19. Juni 2020 - Die Eindrücke verarbeiten

Kaum döst mein Hund ein, fängt er auch schon an zu träumen. Er fiebt und bellt, er fletscht die Zähne, er beginnt im Schlaf zu laufen, manchmal wackelt der ganze Körper. Was für ein sensibles Tier ist das doch, denke ich mir dann, und wie intensiv muss er die Eindrücke eines Tages für sich wahrnehmen, dass er sie in dieser Weise für sich im Traum verarbeitet.

Machen wir Menschen uns eigentlich klar, mit wie vielen Eindrücken wir tagtäglich konfrontiert sind? Und was für eine Leistung das ist, sich darin zurecht zu finden? 
Wer darauf jetzt mit einem seufzenden "Ja" antwortet, dem möchte ich sagen, dass ich es jedenfalls nicht verwunderlich finde, wenn die Psyche dann regelmäßig mal eine Auszeit braucht. 
Und was für den Hund der Schlaf ist, das ist für uns Menschen ein einfühlsames Gegenüber, jemand, der mir hilft, mich selbst zu sortieren.

18. Juni 2020 - Der Papagei auf der Schulter

"Ängste übertragen sich von Eltern auf Kinder" - stand heute in der Zeitung. Das ist ja mal was anderes als das dauernde Reden von der Virus-Übertragung. Aber wirklich erfreulicher ist es auch nicht, diese Vorstellung, dass man an seine Kindern seine Ängste weitergereicht hat.

Mit dem, was wir einander weiterreichen, ist es so wie mit einem Papagei, den wir auf der Schulter sitzen haben und der uns unaufhörlich eine immer gleiche Botschaft ins Ohr plappert. 
Ein erster Schritt ist es, sich klar zu machen, dass diese Stimme und diese Botschaft nicht die eigene Stimme und das eigene Selbst ist. Und wenn man sie dadurch erst einmal enttarnt hat, wäre der zweite Schritt, sie jedes Mal, wenn sie sich meldet, auf ihren Platz zu verweisen: "Achso, du wieder. Danke, ich habe es gehört." Und im dritten Schritt gelingt es einem dann vielleicht, seine eigenen Gefühle und Empfindungen zu entdecken und danach zu handeln. 
Der Papagei wäre dann immer noch da - und das ist auch gut so. Aber die Rangordnung zwischen mir und ihm hätte sich zu meinen Gunsten verschoben - und das ist noch besser.

16. Juni 2020 - Zeit ist Gnade

Von meinem Schreibtisch aus kann ich die Kirchturmuhr sehen. Es ist ein sehr einfach gestaltetes Uhrblatt - passend zu dem Baustil der Kirche aus den 60er Jahren. Und doch hat sie etwas Strahlendes, wenn jetzt die Sonne darauf scheint. Denn die Zeiger und die Stundenmarkierungen sind mit Goldfarbe angemalt. Es ist dies ein Zeichen für die Kostbarkeit meiner Lebenszeit. 

Unvergessen ist mir ein Ziffernblatt einer Kirche aus der Zeit meiner ersten Pfarrstelle. Denn da trug jede Stundenmarkierung einen Buchstaben: Z E I T I S T G N A D E. Genauso wie hier musste man auch dort einen Moment länger hinschauen, ehe man den Text erkannte. Aber seither habe ich ihn nicht mehr vergessen. 

15. Juni 2020 - Wut ist ein wichtiges Gefühl

"Sie waren ein Herz und eine Seele" - so hieß es gestern im Predigttext über das Miteinander der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem. Ob die denn so etwas wie Wut gar nicht empfunden haben? Dabei ist Wut ein wichtiges Gefühl. Kein Gefühl gibt uns mehr Auskunft über uns selbst als unsere Wut.

Als Kind bin ich wütend geworden, wenn ich mich nicht beachtet und verstanden gefühlt habe. Wie soll ein Kind mit noch eingeschränktem Wortschatz auch anders auf sich aufmerksam machen? Und heute kann ich wütend werden, wenn von verschiedenen Seiten Sachen auf mich einprasseln und mir alles zu viel wird.

In jedem Fall ist die Wut für mich kein Gefühl, für das ich mich schämen möchte. Zumal mir das Verstehen meiner Wut einen neuen Umgang mit ihr eröffnet hat. Wenn mir jetzt alles zu viel wird, dann sage ich rechtzeitig: "Ich möchte euch bitten, mich einfach mal in Ruhe zu lassen, damit ich meine Gedanken sortieren kann." Und wenn das Gegenüber die Wut dennoch zu spüren bekommt, dann weiß es wenigstens, wo es herkommt und muss es nicht persönlich auf sich beziehen. 

13. Juni 2020 - Nachdenken schadet nicht

"Da darfst du nicht drüber nachdenken." Manchmal kommen mir Sprüche aus meiner Kindheit in den Sinn. Dies ist einer davon. Wenn man sich irgendetwas zu sehr zu Herzen genommen hatte, irgendein Ausspruch von einer anderen Person, der mich verunsichert oder verletzt hatte.

Aber was soll eigentlich falsch daran sein, über Dinge nachzudenken, die in der Beziehung zu anderen Menschen eine Störung spiegeln? Natürlich kann ich es mir immer leicht machen und sagen, dass der Andere das Problem ist und weiteres Nachdenken deshalb nichts bringt. Aber Beziehungen sind wechselseitig. Und Störungen in der Beziehung können mir viel über mich selbst erzählen und mir helfen, ein realistischeres Selbstbild zu entwickeln. Gerade die Aussprüche, die mein Selbstbild in Wallung bringen, sind es Wert, gründlich durchdacht zu werden. 

11. Juni 2020 - Nein sagen

Mein Hund mag es nicht, wenn er auf dem Kopf getätschelt wird. Er lässt es über sich ergehen, aber ich merke, wie er sich unwohl fühlt. Und ich kann ihn gut verstehen. Ich erinnere mich an einen "Onkel" (alle Bekannten nannten wir früher Onkel oder Tante), der hat mir immer zur Begrüßung in die Wange gekniffen. Das hatte schon etwas Übergriffiges. Mehr noch ärgere ich mich rückblickend allerdings darüber, mich nicht gewehrt zu haben. Aber klar, dann wäre man ja frech gewesen.

Ich bin froh, dass das heute weitgehend etwas anders ist. Wir sind sensibler geworden, was Übergriffigkeiten angeht. Aber noch aus einem anderen Grund bin ich froh. Denn wenn ich lerne, "Nein" zu sagen, dann lerne ich auch, meinen eigenen Standpunkt zu finden. Und mein Gegenüber muss mich ernstnehmen und sich mit mir auf Augenhöhe beschäftigen. Am Ende profitieren beide. 

9. Juni 2020 - Getragen durch den Blick des Anderen

Münchhausen soll sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben. Geht das? Physikalisch spricht alles dagegen, psychologisch beinhaltet diese Legende zumindest diese Wahrheit, dass alle Heilung nur von einem Selbst ausgehen kann. 

Was es allerdings braucht für jeden Heilungsprozess, ist jemand, der in mir diese Gewissheit in meine eigenen Möglichkeiten weckt und an mich glaubt.
Insofern finde ich eine Erzählung noch schöner als die Legende von Münchhausen, nämlich die von dem Seewandel des Petrus. Auch das ist ja physikalisch unmöglich, dass jemand über das Wasser gehen kann. Aber die Geschichte beschreibt dann sehr genau, wie es dennoch funktioniert: Paulus möchte Jesus entgegengehen und bittet ihn, ihn zu sich zu rufen. Als dieser ihn dann ruft und Paulus losgeht, schaut er nur auf Jesus. Genau genommen geht er nicht übers Wasser, er wird übers Wasser getragen durch den Blick dessen, der ihm das eigentlich Unmögliche zutraut.

8. Juni 2020 - Vom schönsten Beruf der Welt

 Pastor ist doch wirklich der schönste Beruf der Welt, dachte ich gestern, als ich über den Segen (4. Mose, 22-27) gepredigt habe. Denn was kann es Schöneres geben, als Menschen zu segnen und dann umgekehrt zu erleben, wie dieser Segen sie aufrichtet und zu neuen Menschen macht. Wenn da einmal nicht gesagt wird "Das hast du aber schön gemacht" oder "Daran musst du aber noch arbeiten" - das permanente Sich-messen-lassen-müssen an Bewertungsmaßstäben. Sondern wenn da einfach einer ist, der mir sagt: "Wie schön, dass es dich gibt." Nichts anderes ist Segen.

Und im Auftrag dieses segnenden Gottes unterwegs zu sein, ist nicht nur das Schönste, was es gibt. Ich meine, es ist auch so unglaublich wichtig. Ich konnte es gestern von der Kanzel aus geradezu spüren, wie groß die Aufmerksamkeit war bei diesen segnenden Worten, wie groß der Hunger danach bei jedem von uns. 

Insofern mag die Rede von dem Bedeutungsverlust der Kirchen groß sein; aber ihre Notwendigkeit ist gleichzeitig vielleicht größer denn je. 

6. Juni 2020 - Lob zulassen können

Kritik anzunehmen ist schwer - das kennt jeder. Aber mir ist aufgefallen, dass es mir häufig genauso schwer fällt, Lob anzunehmen. Und ich habe mich gefragt, warum das so ist. Kennst du das auch?

Die Antwort liegt - wie eigentlich immer - nicht in der Äußerung des Anderen, sondern in uns selbst. Denn ich nehme jeweils das willig an, was meinem Selbstbild entspricht. Wenn ich also ein geringes Selbstbild von mir habe, bestätigt eine an mich herangetragene Kritik nur mein eigenes Bild von mir. Es passt und erzeugt darum wenig innere Widerstände. Habe ich demgegenüber ein sehr hohes Bild von mir, dann sträube ich mich mit Händen und Füßen gegen diese Kritik.
Und entsprechend ist es mit dem Lob: Mein Gegenüber nimmt mich positiv wahr, aber ich kann es nicht hören und annehmen, weil ich nur defizitär von mir denke. Wer bin ich schon, dass der andere mich mögen könnte?

Aber es wäre so wichtig, dieses Lob zuzulassen und zu hören. Denn es ist die Chance, unser Bild von uns zu heben und uns selber ein bisschen mehr zu lieben. Darum: Wenn beim nächsten Mal jemand etwas Wertschätzendes zu dir sagt, wehre es nicht gleich ab. Sondern nimm es mit wie einen Schatz, denk drüber nach und erlaube ihm, dein eigenes Selbstbild zu hinterfragen. 

5. Juni 2020 - Vertrauen

Gestern war auf 3sat eine wissenschaftliche Sendung über "Vertrauen". Und dann diskutierten Soziologen und Philosophen über die Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle für das Funktionieren unserer Gesellschaft.

Ich fand es schade, dass kein Psychologe oder Seelsorger mit diskutiert hat. Denn der Mangel an Vertrauen ist nicht nur ein gesellschaftliches Thema. Das Problem beginnt bereits da, wo ich mir selbst nicht vertraue. Wie vielen von uns fällt es schwer, mit sich selbst in Frieden zu leben? Anstatt all unsere Eigenschaften und Prägungen als Teil von uns zu akzeptieren, bewerten wir und teilen uns auf in den einen Menschen, der wir sein wollen, und in den anderen Menschen, der zu unserem Bild von uns selbst nicht passt. Ihn wollen wir am liebsten in irgendein Hinterzimmer unseres Lebens sperren: der weinerliche Teil von mir, der ärgerliche, der verzagte, der egoistische, der selbstherrliche. Und die kirchliche Tradition führt diese Klassifizierung dann fort, indem sie von der uns innewohnenden Sünde spricht. 

Vertrauen wächst aber nur, wenn ich mir selber traue und zu allem, was ich bin, Ja sage. Ich bin gut, so wie ich bin. Das lernen wir dadurch, dass wir uns einander öffnen und nicht gleich beurteilen. Und wenn ich mir selbst traue, kann ich auch den Anderen mit viel offeneren Augen sehen.

3. Juni 2020 - Besser zu zweit als allein

 Eine Sache fällt auf, wenn man die Geschichten der frühen Kirche nach dem Pfingstereignis in Jerusalem liest: Die Jünger gehen immer zu zweit los. Zu zweit heilen sie einen Gelähmten (Apostelgeschichte 3), zu zweit gehen sie auf Missionsreise (Apostelgeschichte 13) usw. Noch heute ist es den Zeugen Jehovas wichtig, dass sie nur zu zweit losgehen und an den Türen klingeln. Und der Grund ist klar: Dann kann man argumentativ nicht so schnell übermannt werden, weil der Nebenmann bzw. die Nebenfrau einem immer noch zur Seite springen kann. Und wenn die Tür mehr oder wenig freundlich zugeschlagen wird, steht man auch nicht alleine da mit der Frusterfahrung.

Mir persönlich ist es noch aus einem anderen Grund wichtig, dass wir als Christen nicht alleine, sondern mindestens immer zu zweit unterwegs sind. Denn der oder die andere ist auch jemand, in dem sich mein Verhalten spiegeln kann. Wie gut ist es, wenn mir der andere spiegelt, wie ich auf ihn wirke und ich es annehmen kann! Bedingung dafür ist freilich, dass seine Beobachtung getragen ist von wirklicher Fürsorge und Liebe, denn nur dann bin ich in der Lage, es zuzulassen und anzunehmen. Geschieht dies, so ist es eine Chance, mein eigenes Selbstbild zu erweitern und immer wieder mit dem Außenbild abzugleichen. Und das ist ein Prozess der immer von uns gefordert ist. Was kann es schließlich Schlimmeres geben, als nur von seinem eigenen Selbstbild geleitet und mit seinen eigenen engen Lebensweisheiten versehen durchs Leben zu gehen und dabei nicht mehr zu wahrzunehmen, wie abgedreht dies bei dem anderen rüberkommt?  

31. Mai 2020 - Offen für die Bewegungen des Lebens

 Ich weiß nicht, warum der Hund mal in diese Richtung, mal in jene Richtung abweicht. Und wenn wenig Zeit ist, dann zieh ich ihn in die Richtung, in die ich möchte, damit ich rechtzeitig vom Hundespaziergang wieder zuhause bin. 
Aber ich habe mir auch angewöhnt, häufig den Hund die Richtung angeben zu lassen und mich auf seine spontane Entscheidung einzulassen. 

Das ist nicht immer leicht und ohne innere Widerstände, denn ich gebe meine Kontrolle ab. Aber es hat auch etwas sehr Befreiendes: Ich bin offen für das, was mit mir heute passiert und muss es nicht kontrollieren. 

Mit Blick auf den Hundespaziergang ist dadurch jede Runde anders und neu. Mit Blick auf mein Leben bedeutet es, dass ich im Fluss bin. Und dies zu spüren tut mir gut: es weckt in mir ein Gefühl von Glück, wenn die Dinge im Fluss sind.

War es ein solches Gefühl, das die ersten Christen in Jerusalem erfasst hatte und sie in Bildern von Sturmwinden und himmlischen Feuerszungen von dem ersten Pfingsttag hat sprechen lassen? Vom Geist, der alles neu macht und mich lehrt, mich auf die Bewegungen des Lebens einzulassen.  

30. Mai 2020 - Was ist Wahrheit?

 "O komm, du Geist der Wahrheit...", so beginnt ein bekanntes Pfingstlied. Und ich habe mich immer gefragt, was mit dieser Wahrheit gemeint ist. Haben wir durch die Berufung auf Gottes Geist die Wahrheit für uns gepachtet? 

Nein, natürlich nicht. Gemeint ist, dass man diesem Geist nichts vormachen kann. In den ersten Geschichten nach dem Pfingstereignis wird dies deutlich beschrieben. Da versuchen einzelne Personen ihre kleinen Tricks. Menschen können sie damit täuschen, aber den Geist Gottes nicht. Der sieht alles und vor dem gilt nur die Wahrheit. (Apostelgeschichte 5)

Und wo mache ich mir etwas vor? Das ist eine Menge - vor allem jetzt. Der fehlende Kontakt zu meinen Mitmenschen macht mir zu schaffen, er entzieht mir nicht nur meine Arbeitsgrundlage, er nagt auch an meiner Persönlichkeit, die sich doch im Gegenüber zum Andern definiert. Die Fassade des fest stehenden Menschen halte ich dennoch aufrecht, versuche alles Schwere wegzulächeln - so wie wir alle. Aber würde es nicht auch mal gut tun, miteinander ehrlich darüber zu reden, wie es uns wirklich geht? Und es könnte ja damit beginnen, es Gott anzuvertrauen.